»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
geringeren Zuckergehalt lobenswerterweise nicht durch Süßungsmittel aus. Trotzdem enthalten 100 Gramm immer noch etwa sechs Stück Würfelzucker. Und dass Langnese auf seine Aprikose-Mango-Eiscreme »Cremissimo« »leichter Genuss« schreibt, gibt das falsche Signal: Das Eis enthält nur fünf Prozent Fett, besteht aber wie klassische Eissorten auch zu fast einem Drittel aus Zucker – und bleibt damit selbst in der Light-Variante eine Süßigkeit. So ist eingetreten, was eintreten musste: Innerhalb weniger Jahrzehnte ist der Zuckerkonsum vor allem in den westlichen Industrieländern geradezu explodiert. Jeder Deutsche verzehrt im Schnitt mehr als 40 Kilogramm Zucker pro Jahr, das sind rund 10 Kilogramm mehr als noch unsere Eltern und Großeltern verspeisten. In den USA ist der Zuckerkonsum mit 62 Kilogramm pro Kopf und Jahr völlig außer Kontrolle geraten. Die Zahlen sind schon in ihrer absoluten Höhe erschreckend. Viel alarmierender aber ist, dass die Unterschiede beim Pro-Kopf-Konsum zwischen Europäern und Nordamerikanern das noch nicht ausgeschöpfte Potential der Lebensmittelindustrie für Europa und Deutschland kennzeichnen. Mit anderen Worten: Die Hersteller werden nichts unversucht lassen, damit auch wir deutsche und europäische Verbraucher uns eines Tages so viel Zucker ins Essen mischen lassen wie die US -Amerikaner. Und irgendwann sogar noch mehr: Denn als Wachstumsfetischisten glauben die Herren und Damen in den Vorstandsetagen
sicher auch an das grenzenlose Wachstum des Zuckerkonsums.
Dabei ist der persönliche und gesellschaftliche Schaden durch falsche Ernährung in Form von zu zuckerreicher und zu fetter Lebensmittel immens. Und zwar so immens, dass ihn Experten bereits mit dem Schaden durch die Tabakindustrie vergleichen. »Fettleibigkeit ist weltweit ein riesiges Problem. Wir können es uns nicht leisten, dass so wie damals die Tabakindustrie zwar gern ihre hohe moralische Verantwortung betonte, dieser Verantwortung im Alltag aber nicht gerecht wurde«, schrieben Anfang 2009 Kelly Brownell, Direktor am Rudd Center for Food Policy and Obesity (Fettleibigkeit) an der Yale University, und Kenneth Warner, Dekan an der University of Michigan School of Public Health, in einem Beitrag für die Zeitschrift »The Milbank Quarterly«.
Tatsächlich erzählen die Zahlen von einer weltweiten Katastrophe, vor allem bei Kindern: In den USA sind 68 Prozent der Erwachsenen und 32 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig; adipös, also stark übergewichtig oder fettleibig, sind 34 Prozent der Erwachsenen und 17 Prozent der Kinder und Jugendlichen, und der Zuwachs bei der Zahl fettleibiger Kinder ist dreimal so stark wie bei den Erwachsenen. In Großbritannien ist der Anteil übergewichtiger Kinder in den letzten zehn Jahren um 60 Prozent gestiegen, in China immerhin schon um 20 Prozent. Von den 77 Millionen Kindern im Alter zwischen sieben und elf Jahren in der Europäischen Union gelten 14 Millionen bereits als übergewichtig, und jedes Jahr kommen rund 400 000 hinzu. Weitere drei Millionen Kinder fallen in die Kategorie der Adipösen, also der regelrecht Fettsüchtigen, die Zunahme in dieser Gruppe beträgt 85 000 pro Jahr. Selbst in Schwellenländern wie Brasilien und in den ärmsten Ländern der Welt werden die Kinder immer dicker. Weltweit wiegen rund 1,6 Milliarden Menschen mehr als gesund ist, schätzt die Weltgesundheitsorganisation WHO , die Fettleibigkeit schon im Jahr 2004 als eine »globale Epidemie« bezeichnete – damit hat Übergewicht den Hunger als größtes Ernährungsproblem abgelöst.
In Deutschland gelten nach Angaben der Bundesregierung 37 Millionen Erwachsene und zwei Millionen Kinder als zu dick oder fettleibig. Nach der 2007 veröffentlichten bundesweiten KiGGS-Studie des Robert-Koch-Instituts ist Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 0 bis 17 Jahren seit den neunziger Jahren um beängstigende 50 Prozent gestiegen; in keiner anderen Altersgruppe habe sich Übergewicht so stark ausgebreitet. Bereits unter den Fünf- bis Sechsjährigen sind zehn bis 15 Prozent zu dick und vier bis sechs Prozent fettsüchtig. Und immer mehr Kinder bekommen den »Altersdiabetes« Typ 2, für den Übergewicht als Hauptrisikofaktor gilt; Schätzungen gehen von etwa 5000 Kindern und Jugendlichen mit Typ-2-Diabetes aus, etwa 15 000 Kinder im Alter bis zu 14 Jahren haben Diabetes Typ 1.
Und das ist nur eine von vielen Gefahren, denen zu dicke Kinder – und
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