»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
höher ist als der einer normalen Tütenware. Die angeblichen Feinschmecker geben also zu, dass Verbraucher den Aufpreis nicht für eine höhere Qualität bezahlen, sondern für gesalzenes, aromatisiertes Wasser in Dosen.
Welch bizarre Blüten der Hype um die angeblich alles aufwertende »Herkunft« von Lebensmitteln und ihrer Inhaltsstoffe treibt, zeigt auch das Beispiel Dr. Oetker. Der hübschte seinen Schokoladenpudding »Pur Choc« mit Begriffen wie »echte Herkunftsschokolade« und »Tansania edelbitter« auf, die dem Verbraucher suggerieren, in »Pur Choc« sei hochwertige Edelschokolade mit ganz viel Kakao aus Tansania verarbeitet. Doch erstens mag die Firma partout nicht verraten, welche Sorte Edelkakao das ist – weshalb es sich vermutlich nur um den deutlich billigeren Konsumkakao handelt. Außerdem verstieg sich die Firma mit dem Doktortitel auch noch zu einem aberwitzigen Rechentrick: »75 % Kakao in der Schokolade« verspricht die Verpackung, tatsächlich sind es nur 1,875 % Tansania-Kakao, weil sich die beworbenen 75 Prozent nur auf den Schokoladenanteil beziehen, der aber nur 2,5 Prozent im Pudding ausmacht. So meilenweit entfernt der Schokopudding von einem Kakao-Edelprodukt ist und Escoffiers Champignon-Creme-Suppe vom »Gourmet«-Erlebnis, so stark hat sich übrigens auch der geschützte Schwarzwälder Schinken von jener Tradition entfernt, auf die er sich so gerne Bollenhut-bewehrt beruft. Um dem Massengeschmack weltweit zu entsprechen, hat heutiger Schwarzwaldschinken einen wesentlich kleineren Speckrand; lag das Verhältnis von Speck und Schinken früher bei 50 zu 50, hat moderner Schinken im Durchschnitt nur noch 10 Prozent Speck. Er ist auch viel weniger salzscharf und wird längst nicht mehr so stark geräuchert wie einst, wodurch er einen milderen Geschmack bekommt. So gesehen ist Schwarzwälder Schinken trotz Herkunftsschutz durch die EU sogar eine doppelte Illusion: Weder stammt sein Fleisch von einer echten Schwarzwaldsau, noch schmeckt er wie damals, als die Frauen noch wirklich im Bollenhut durchs Kinzigtal und andere schöne Orte im Schwarzwald liefen.
4 Wachstum der Großen
auf Kosten der Kleinen –
die Zuckerlüge
Im Februar 2009 verbreitet die Nestlé Deutschland AG eine Pressemitteilung, die nicht nur deshalb bemerkenswert ist, weil darin ein »böser Zauberer« und ein Kleinkrimineller vorkommen. Die Pressemitteilung unter der Überschrift »Räuber Hotzenplotz weckt Appetit auf Obst und Vollkorn« geht so:
»Zwischen neonfarbenen Mäppchen und Linealen leuchten Mandarinen und Bananen. Und durch das leise Klappern von Löffeln in Schüsseln dringt eine klare Stimme: ›Der große und böse Zauberer Petrosilius Zwackelmann hockte verdrossen in der Küche seines Zauberschlosses und schälte Kartoffeln.‹ Lehrerin Astrid Reubold liest ihrer Klasse 4 b aus Otfried Preußlers ›Räuber Hotzenplotz‹ vor, während die begeisterten Zuhörer gleichzeitig einer für eine Schulstunde ungewöhnlichen Beschäftigung nachgehen: Sie frühstücken. Für dieses besondere ›Lesefrühstück‹ haben die Kinder besonders viele gesunde und gleichzeitig schmackhafte Zutaten von zu Hause mitgebracht: Vollkornbrot, Obst, Milch und Saft. Die Frankfurter Kinder sind eine von rund 3000 Grundschulklassen, die sich derzeit am bislang größten Grundschulprojekt an der Schnittstelle von Leseförderung und Ernährungserziehung beteiligen: Gemeinsam mit der Nestlé Deutschland AG initiiert die Stiftung Lesen die Initiative ›Frühstückszeit = Lesezeit‹: Schulen werden auf der Basis von Experteninformationen dazu angeregt, ein ›Lesefrühstück‹ zu veranstalten.«
In der Mitteilung darf dann der Nestlé-Pressesprecher sein »Erschrecken« darüber bekunden, dass »bis zu einem Viertel aller Kinder heute ohne Frühstück in den Unterricht kommen« – »erschreckend« deshalb, weil ein direkter Zusammenhang bestehe zwischen einem gesunden Frühstück und den Lernleistungen »unserer Kinder«. Das Projekt sei der Beginn einer langfristigen und engen Projektpartnerschaft zwischen dem Fördermitglied Nestlé und der Stiftung Lesen, sagt der Pressemann und bläst dann die Backen für sein abschließendes staatspolitisches Statement auf: »Für uns als führenden Lebensmittelhersteller ist es ein zentrales Anliegen in einem umfassenden Sinne Bildungs-Impulse zu setzen – dazu zählt die Verbindung von Leseförderung und Ernährungserziehung.«
Was ist hier los? Sind wir im falschen Film? Was
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