Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)
Geruchsprobe überzeugte er seine Gäste. Ein Apfel mit kleinen Schorfflecken kann besser schmecken als ein makelloser, aber auch geschmackloser Granny Smith. Zum Vergleich brachte er Rubinetten mit, eine alte Apfelsorte aus dem 18. Jahrhundert. Und eine violette Urkarotte, die er jederzeit der orangefarbenen Normalkarotte vorzieht.
Der Mix »harte Fakten und Genuss« sorgte für Interesse, der Saal war voll von Abgeordneten und wissenschaftlichen Mitarbeitern. Eröffnet wurde der Abend vom Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Hans-Michael Goldmann ( FDP ) und der Vorsitzenden des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Eva Bulling-Schröter (Linke). Auch wenn sie aus ganz unterschiedlichen politischen Lagern stammen, waren sie doch einig, dass das Thema wichtig ist und im Bundestag behandelt werden soll.
Die Tatsache, dass es in Deutschland noch keine Forschung über die Mengen und die Ursachen der Lebensmittelverschwendung gibt, führte schon wenige Tage darauf zum ersten Schritt: einer parlamentarischen Anfrage beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Und die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: Kurz vor Weihnachten 2010 kündigte Ministerin Ilse Aigner ( CSU ) an, dass sie eine Studie in Auftrag geben wolle.
Schneller noch hatte die rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf reagiert. Im November 2010, nur wenige Wochen nach der Ausstrahlung von »Frisch auf den Müll«, berief der nordrhein-westfälische Verbraucherminister Johannes Remmel einen runden Tisch ein: Gemeinsam mit Handel und Bauern beriet er darüber, wie man die Müllberge verringern kann. Der runde Tisch soll mindestens zweimal im Jahr tagen.
Mich freut, dass unser Film politische Initiativen im Bund und in den Ländern angestoßen hat. Doch wirkliche Veränderungen wird es nur geben, wenn der öffentliche Druck kontinuierlich aufrechterhalten wird. Deshalb haben wir versucht, ein Bündnis von Entwicklungs- und Umweltverbänden zu schmieden. Greenpeace und Slow Food waren schon von Anfang an dabei. Die Berliner Tafel, die Welthungerhilfe und der Evangelische Entwicklungsdienst kamen bald dazu.
Die Berlinale 2011 schenkte uns einen Anlass, weitere Bündnispartner einzuladen. Das »Kulinarische Kino« hatte »Taste The Waste« ausgewählt, und diese besondere Ehre, unseren Film auf der Berlinale zu präsentieren, wollten wir nutzen. Dieter Kosslick, der Leiter der Berlinale, und Thomas Struck, der Leiter des »Kulinarischen Kinos«, hatten für diese Reihe ohnehin von Anfang an einen politischen Ansatz: »Genuss und Lebensfreude gehen einher mit der Verantwortung für Umwelt und faire Arbeits- und Handelsbedingungen.«
Unser Werk wurde zweimal im offiziellen Programm gezeigt. Die Uraufführung war am 18. Februar im Gropius-Bau vor drei Schulklassen und Pressevertretern. Nach dem Screening ging es auf die andere Straßenseite ins historische Spiegelzelt. Die Tische waren bereits festlich eingedeckt, ein Teil der Schüler hatte während der Vorführung bereits in der Küche gewirkt – unterstützt von Michael Hoffmann, der vom Feinschmecker – Magazin gewählte »Koch des Jahres 2011«.
Für sein Berliner Restaurant »Margaux« baut er das Gemüse selbst an. Und Gemüse stand auch diesmal auf der Karte – welches allerdings, wussten die jungen Köche nicht, denn es wurde von der Berliner Tafel angeliefert, und die ist abhängig von der Restelage ihrer Spender. Fantasievoll dichteten sie auf der Speisekarte: »Glückspiralen mit Sugo aus Zufallgemüse«, und beim Nachtisch: »Süße Überraschung«. Flexibel muss der Restekoch sein!
Bei der anschließenden Diskussion suchten die 13-jährigen Schüler nach Alternativen. Und fanden heraus, dass sich unser Filmtitel »Taste The Waste« nicht so ohne Weiteres übersetzen lässt, die doppelte Bedeutung des englischen »waste« – Abfall, aber auch Verschwendung – gibt es so im Deutschen nicht. Für einen Lacher sorgte der Vorschlag meines Sohnes Oskar: »Schmeck den Dreck«.
Der Tagesspiegel nannte unseren Film einen »Abfallthriller«, die BZ titelte: »Ein Sterne-Menü aus Weggeworfenem«, und die taz schrieb: »Es sind Bilder, die haften bleiben. Beim Anschauen schlägt der Ekel, den das Wühlen in Mülltonnen auslöst, in Wut um.«
Das zweite offizielle Screening fand in dem über 1000 Zuschauer fassenden Kinosaal des Hauses der Kulturen der Welt statt, von den Berlinern
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