Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)
dem ich zu Anfang des Buches erzählt habe) und den Spitzenkoch Milenko Gavrilovic – die Hamburger kennen ihn als Inhaber der Restaurants »Eisenstein« und »Marseille«. Frederik sollte Gemüse aus den Tonnen eines Altonaer Supermarkts fischen und es nach Dienstschluss in die Küche des »Marseille« bringen. Dort säuberte der Spitzenkoch die Beute zunächst. Am nächsten Tag bereitete er daraus ein Buffet vom Feinsten: einen Blumenkohl-Kartoffel-Salat, einen Tomaten-Schafskäse-Salat und einen Pflaumenkuchen. Mein Lieblingsgericht aber war: Topfenstrudel mit Mandarinenpüree. In der Mülltonne waren an dem Tag einfach viele Mandarinen gewesen, die Milenko Gavrilovic auf geniale Art und Weise zu einer Fruchtcreme verarbeitet hatte.
Optisch sah das Essen zum Reinbeißen lecker aus. Damit keiner an der Herkunft des Essens zweifelte, ließen wir neben dem Buffet auf einem Bildschirm ein Video laufen, das die nächtliche Mülltonnenaktion zeigte. Provokativ, aber keiner ließ sich davon abschrecken: Alle kamen sie und probierten von unserem Müllbuffet, auch TV – Koch Tim Mälzer.
Bald darauf hatte ich ein zweites Mal Gelegenheit, Mülltaucher und Gourmets zusammenzubringen: beim »Terra-Madre-Tag« von Slow Food in Berlin. Eine Kochaktion sollte vorbereitet werden. Ich fragte Pirkko, mit der wir zwei Jahre zuvor schon einmal gedreht hatten, und sie sagte zu, das »Youth Food Movement« in die Geheimnisse des Mülltauchens einzuweihen. Noch besser: Der nächtlichen »Tour de Container« schloss sich sogar Ursula Hudson an, Vorsitzende von Slow Food Deutschland.
Am nächsten Tag kam Wam Kat hinzu, sein schwarzes T-Shirt trägt die Aufschrift: »Essen ist eine politische Handlung«. Mit seinen riesigen Töpfen bekochte er schon Tausende von Demonstranten, von Gorleben bis Heiligendamm. Im Berliner Schulumweltzentrum gab es für den »Aktionskoch« nur ein logistisches Problem: Der Gasherd war nicht groß genug für seine Töpfe. Wam ließ sich davon nicht beirren, schließlich gibt es einen Garten, und dort kann man ein Lagerfeuer machen – auch mitten im Dezemberschnee.
Die Schulklasse war von seiner lockeren Art begeistert. Obwohl er schon lange in Deutschland lebt, hat sich Wam seinen holländischen Akzent bewahrt. Stets einen Scherz auf den Lippen, zeigte er den Schülern, wie man das Gemüse vorbereitet. Zwischendurch prüfte er das Grundwissen der 17-Jährigen: Was ist das? Er hielt eine Knolle in die Höhe. Von den 30 Berliner Schülern wusste nur ein einziger, dass es sich um Sellerie handelte.
Wam war davon nicht geschockt: »So ist es heute in der Großstadt – woher sollen es die jungen Leute auch wissen?« Mit seiner unvermeidlichen Wollmütze auf dem Kopf sieht Wam aus wie ein Freak. Aber das Ergebnis seiner Kochkünste ist phänomenal: Ich verdanke Wam das Wissen, wie man übergroße Eintöpfe oder Salate spannend würzt.
Nach der Vorführung meines Films erstaunten mich die Schüler mit ihren Fragen: Sie wollten wissen, ob die Szenen unverfälscht oder inszeniert seien, echt oder gefakt, und zeigten sich damit als kritische Beobachter der heutigen TV – Dokus. Am Nachmittag dann das Kontrastprogramm: Slow Food rief zum Dinner im noblen Hotel InterContinental. Dort ist Küchenchef Alf Wagenzink für das Essen von mehreren Tausend Gästen täglich zuständig.
Hier werden täglich Tonnen von Lebensmitteln verarbeitet. Wie vermeidet man in so einer Großküche Müll? Der Chefkoch brillierte mit raffinierten Erfindungen: Brokkolistrünke, die man gewöhnlich wegwirft, verarbeitete er zu einem Gemüsecarpaccio. Und mit den Käseresten des Frühstücksbuffets zauberte er einen Käsebrunnen: Zunächst jagte er den Käse durch einen Emulgator (»es muss doch auch Vorteile geben, wenn man eine Großküche zur Verfügung hat«), und die so entstandene dicke Flüssigkeit präsentierte er dann mithilfe eines Schokoladenbrunnens, wie er auf Kindergeburtstagen Einsatz findet.
»Am wichtigsten aber bei der Müllvermeidung«, erklärt Alf Wagenzink, »ist unser Logistiker. Wir haben eine Stelle geschaffen nur für die Planung, wie viel und wann eingekauft werden soll. Und schon rein von den Einsparungen betrachtet hat es sich gelohnt.«
Der Interconti-Küchendirektor half auch mit, unsere Botschaft in den Bundestag zu tragen. Gemeinsam mit der österreichischen Abfallforscherin Felicitas Schneider und mir trat er bei einem »Parlamentarischen Abend« auf, den Greenpeace veranstaltete. Mit einer
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