Die Essenz der Lehre Buddhas
dieser Betrachtungsebene, die für alles Bedingte gilt, stimmen alle Buddhisten überein. Als Nächstes haben wir Pratityasamutpada im Hinblick auf die Beziehung zwischen einem Ganzen und seinen Teilen. Und schließlich kommen wir zum eben angesprochenen Gedanken des bedingten Benennens.
Die erste dieser drei Abhängigkeitsbeziehungen spricht die Wirkungen an, die aus Ursachen folgen. Diese Beziehung kann nur eine zeitliche Richtung haben, denn da die Zeit aus der Vergangenheit in die Zukunft fließt, kann eine Ursache nicht das Resultat ihrer Wirkung sein.
Bei etwas subtilerer Betrachtung ergibt sich jedoch Folgendes: Wie etwas nur mit Blick auf seine Ursache als Wirkung bezeichnet werden kann, so ist eine Ursache auch nur unter dem Gesichtspunkt ihrer Wirkung als Ursache zu definieren.
Wie könnte etwas Ursache sein, wenn ihm nicht eine Wirkung folgte? Seine Identität als Ursache ist demnach durch seine nachfolgende Wirkung bedingt. In diesem
Sinne sind beide Zeitrichtungen in der Abhängigkeitsbeziehung wirksam.
Eine Ursache kann nicht Wirkung ihrer selbst sein, doch ohne Zweifel ist sie die Wirkung einer anderen Ursache. Der Keim ist die Wirkung eines ursächlichen Samens und zugleich die Ursache des künftigen Baums. Folglich kann keine Ursache in sich selbst eine absolute Ursache sein. Ursachen sind in Abhängigkeit von ihren Wirkungen Ursachen und andererseits von ihren eigenen Ursachen abhängig. Wir können also sagen: Alles ist Ursache in Abhängigkeit von seiner Wirksamkeit; und alles ist Wirkung in Abhängigkeit von seiner Verursachung. Damit hat nichts in sich selbst etwas von Ursache-Sein oder Wirkung-Sein, denn das würde bedeuten, dass eine Ursache nichts anderes als Ursache und eine Wirkung nichts anderes als Wirkung sein kann.
Wenn wir als Beispiel einen Stuhl aus Holz nehmen, so ist einzusehen, dass der Baum, der das Holz lieferte, die Ursache des Stuhls ist. Das Vorhandensein des Stuhls ist von diesem Baum abhängig. Ohne Baum kein Stuhl. Vom Baum kann man dagegen nicht sagen, er sei in irgendeinem kausalen Sinne vom Stuhl abhängig. Zeitlich gesehen können wir den heutigen Stuhl als Wirkung des gestrigen Stuhls betrachten: Jeder Augenblick unseres Stuhls ist Ursache seines nächsten Augenblicks. Die heutige Existenz des Stuhls – des resultierenden Stuhls – ist abhängig von der Existenz des gestrigen oder ursächlichen
Stuhls. Dass der gestrige Stuhl vom heutigen abhängig sei, lässt sich nicht so ohne Weiteres behaupten. Wir können aber festhalten, dass der ursächliche Stuhl nur in Bezug zum resultierenden Stuhl als ursächlich gesehen werden kann – eine Ursache ohne Wirkung wäre sinnlos.
Gehen wir noch einen Schritt weiter. Der heutige Stuhl ist nicht nur Folge des gestrigen, sondern selbst auch wieder Ursache des morgigen Stuhls. Der heutige Stuhl ist demnach nicht seiner innewohnenden Natur nach ein resultierender Stuhl. Er ist es nur unter bestimmten Bedingungen, er kann nur so genannt werden, insofern er die Wirkung des gestrigen kausalen Stuhls ist. Er braucht den Stuhl von gestern, um resultierender Stuhl zu sein, und genauso braucht er den Stuhl von morgen, um ursächlicher Stuhl zu sein.
Wenn wir das abhängige Entstehen in seiner eher oberflächlichen Bedeutung verstanden haben, sind wir für seine subtilere Auslegung gerüstet. Und wenn wir die Leerheit als bloße Benennung verstanden haben, können wir uns der Abhängigkeitsbeziehung zwischen den Dingen und ihren Bestandteilen leichter annähern, was wiederum unser Verständnis der Mechanik von Ursache und Wirkung vertiefen wird.
Während wir unser Verständnis der Leerheit aufbauen und vertiefen, müssen wir uns zugleich auch Klarheit über die Motive verschaffen, mit denen wir diesem Weisheitsaspekt des Weges zur Erleuchtung nachspüren. Weisheit
allein führt uns nicht zum Ziel der Buddhaschaft. Wir müssen uns auch der methodischen Seite des Weges zuwenden, denn die erst befähigt uns, allen Lebewesen zu dienen und sie in Richtung Glück, in Richtung der Freiheit von Leiden jeglicher Art zu führen.
Kapitel 10
Der praktische Aspekt des Weges
A ls Menschen, die einer spirituellen Praxis nachgehen, streben wir nach Einfachheit. Wir achten nicht über Gebühr auf unsere eigene Bequemlichkeit, meiden aber auch die Askese, denn spirituelle Praxis ist schließlich auf geistigen Wandel und nicht auf Kasteiung aus. Machen wir uns klar, dass wir damit nicht einem Diktat folgen, nur weil der Buddha uns geraten hat,
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