Die Eule - Niederrhein-Krimi
einen Tisch und sagt einander, was ihr von der gemeinsamen Zeit erwartet und was ihr nicht wollt.«
Simon zog sich Stufe für Stufe am Handlauf hoch. »So lange kann ich nicht mehr stillsitzen, wie die am Stück reden würde.«
Burmeester rollte mit den Augen. »Niederrheinischer Pessimismus in Reinkultur. Ich geb’s auf.«
* * *
Es ging zu wie in einem Bienenstock in den Diensträumen in der ersten Etage des Baus aus den Sechzigern. Die Beamten des K 1 schwirrten ein, lieferten ihre Berichte ab, flogen wieder aus, ein ständiges Kommen und Gehen. Am frühen Abend fand sich das Team zu einer ersten Lagebesprechung zusammen. Die Presse saß ihnen im Nacken, das aufsehenerregende Ereignis hatte die Hauptverkehrsstraße zwischen Sonsbeck und Xanten über Stunden blockiert. Die ersten Handybilder erreichten die Öffentlichkeit über das Internet und boten Platz für zahlreiche Spekulationen über Ablauf und Ursache. Zutiefst zuwider wirkten nah herangezoomte, pietätlose Bilder der Opfer, die einer der Zaungäste ins Netz gestellt hatte. Die Behördenchefin Frau Doktor van den Berg gab dem Fall oberste Priorität, nachdem sie telefonisch über erste Erkenntnisse informiert worden war. Der zuständige Staatsanwalt Haase wollte erst die Aussage des beschuldigten Fahrers abwarten. Die Theorie vom Anschlag mit Hilfe eines Lkw schien ihm zu abstrus. Schlecht gelaunt hockte er mit verschränkten Armen auf der Ecke eines Schreibtisches.
»Schauen Sie einfach mal in die Kriminalstatistik der letzten Jahre, ach, was sage ich, der letzten Jahrzehnte. Wenn auch nur ein vergleichbarer Fall auf bundesdeutschem Boden registriert ist, werde ich geneigt sein, mich Ihrer Theorie kritiklos anzuschließen. Die Zeugen konnten nicht in seinen Kopf schauen. Herzinfarkt, Hirnblutung, alles kann den Fahrer unverschuldet ereilt haben. Die Untersuchung des Fahrzeugs ist nicht abgeschlossen, ein technischer Defekt nicht auszuschließen.«
Das Team schwieg nachdenklich, Burmeester schüttelte den Kopf.
»Das Fahrzeug war geklaut, so viel steht fest.«
»Das eine schließt das andere nicht aus. Geklaut und defekt oder akut krank, alles ist denkbar.«
Die Hauptkommissarin blickte von ihrem Bildschirm auf. »Keine Papiere, aber viel Geld unter dem Sitz, das sieht nicht nach einem Unfall aus. Da gibt es einen geplanten Hintergrund, Herr Haase.«
»Der Fahrer liegt im künstlichen Koma, warten wir auf seine Antworten zu unseren Fragen. Frau Krafft, schießen wir da mit letzter Kraft mit Kanonenkugeln auf schmalbrüstiges Federvieh?«
Ein ausgedehnter Blick auf sein neuestes, teures Spielzeug am linken Handgelenk, eine superflache, platinfarbene Uhr der Marke Glashütte, beendete das Gespräch für den heutigen Tag.
»Ich bin für den Rest des Abends nicht mehr direkt zu erreichen. Konzertkarten in der Essener Philharmonie, Sie verstehen. Sprechen Sie auf die Mailbox, wenn es unbedingt sein muss.«
Nachdem die Tür geräuschvoll hinter ihm ins Schloss gefallen war, atmeten einige Kollegen hörbar auf.
»Ist auch besser, dass er ins Konzert muss, dann stört er hier wenigstens nicht.«
Selbst der sonst über jede Form der kollegialen Kritik erhabene Tom Weber konnte nicht still bleiben. »Alle sagen das Gleiche aus, die Unverletzten vor Ort, die ansprechbaren Verletzen in den Kliniken, die nachfolgenden Begleitfahrer. Die können doch nicht kollektiv falsche Vermutungen äußern, warum ignoriert der das?«
Burmeester deutete eine tänzelnde Bewegung an. »Schmalbrüstiges Federvieh, wie vornehm, schmalbrüstiges Federvieh.«
Die Arme wie Flügel ausgebreitet stand er da, als die Tür sich erneut öffnete und Haase ihn, bereits im Ausgehmantel, langsam von oben bis unten musterte.
»Mimen Sie hier den sterbenden Schwan? Oder sind das Lockerungsübungen, Herr Burmeester? Nur noch einmal zum Verständnis. Ich sehe durchaus den Tatbestand der Fahrlässigkeit. Ermittlungen sind notwendig. Ich sehe nur momentan kein vorsätzliches Tötungsdelikt. In diesem Sinne machen Sie bitte weiter.«
Vor ein paar Jahren wäre er noch rot angelaufen, jetzt ärgerte sich Burmeester über diesen Vorfall, zog sich wortlos an seinen PC zurück.
Karin schilderte ihre Fahrt mit der schweigsamen alten Dame. »Sie wohnt in Wesel, in der Feldmark. Nicht einmal ihre Adresse hat sie mir genannt, ich musste sie telefonisch von Simon erfragen.«
Simon lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Also hat sie mit dir auch kein Wort gesprochen. Ich habe es geahnt, als
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