Die Eule - Niederrhein-Krimi
Mehrfamilienhaus in der Ortsmitte von Hamminkeln. Dort kannten viele den Verunglückten, konnten jedoch nichts über ihn sagen. Im hiesigen Café, direkt um die Ecke, könnten sie wahrscheinlich mehr erfahren, dort habe er seit über einem Jahr gearbeitet. Man habe nie viel miteinander geredet, guten Tag und guten Weg. Ein zurückgezogener, ruhiger Mann sei er gewesen, habe nie Besuch gehabt, auch keine lauten Feiern, nichts. Ein feiner Mensch. Das bestätigte im Anschluss auch der Bäckermeister aus dem Café Winkelmann an der Diersfordter Straße. Pünktlich, zuverlässig, flexibel, kein Ärger mit den Frauen.
»Wo kriege ich für den einen Ersatz her? So was wie den finden Sie heute unter hundert nur einen. Mein Gott, der Holger …«
In sich gekehrt fuhren Burmeester und Termath durch die Felder in Richtung Mehrhoog. Die Bahnschranke an der Bahnhofstraße war dicht, ein endlos scheinender Lindwurm aus rostbraunen Waggons zog in gemäßigtem Tempo an ihnen vorbei.
»Von der Straße auf die Schiene. Das dauert«, stellte Termath fest.
»Das wird noch schlimmer, warte ab. Die wollen doch noch einen dritten Schienenstrang für die Betuwelinie bauen, erst mal von Oberhausen bis Wesel. Dann folgen hier die Züge Schlag auf Schlag, das wird elektronisch so dicht gesteuert, dass kein Waggon mehr dazwischenpasst. Dann bleiben die Schranken mehr unten, als sie sich öffnen, solange es keinen Tunnel gibt. Und der Lärm. Deshalb haben die Dörfler an der Bahnlinie letztens demonstriert. Die wollen, dass die Bahn im Bereich von Mehrhoog in Troglage verschwindet. Komisches Wort, habe ich mir gemerkt, aber bedeutet technisch, dass sich der Lärm von Hunderten Zügen nicht mehr ausbreiten kann. Weißt du noch, wie aufgeregt unsere Kollegen in Grün waren und plötzlich bei der Dorfdemo massiv auftauchten? Die hatten Schiss, es würden ein paar aufgebrachte Leute die Bahnlinie blockieren.«
Burmeester hatte ein Thema erwischt, das ihn aufregte.
»Ja, ja, der Moloch Bahn lässt die Leute mit ihren Sorgen hängen, aber wenn die sich gegen die Betuwelinie wehren, rückt die Staatsmacht an. Warte mal ab, noch demonstrieren die Leute friedlich. Aber irgendwann begreifen sie, dass die bei der Hauptverwaltung der Bahn in ihrem Elfenbeinturm den Protest gar nicht bemerken. Die Bahn, die Bürokratie, die Betuwelinie mit dem dichten und lauten Zugverkehr und die Demokratie – das ist schon ein dolles Kapitel. Vielleicht setzen sich die Dörfler auf die Schiene, und ganz Deutschland weiß dann Bescheid, wenn die wichtigste Strecke nach Holland ausgerechnet bei Mehrhoog gesperrt ist. Was meinst du, wie unsere Kollegen dann ins Rotieren kommen. Das schaue ich mir gerne an. Du, ich glaube, wir müssen nachher bei Rewe links rein.«
Ein aufgeräumter, übersichtlicher Vorgarten erwartete sie bei der angegebenen Hausnummer. Die Witwe von Theodor Pachwitz, dem pensionierten Oberstudienrat, war zu Hause. Sie nahm die Nachricht mit Erleichterung statt mit gebotener Trauer auf, verblüffte die Kommissare durch ihr irrationales Verhalten. So etwas hatten sie noch nicht erlebt.
Mehrfach fragte sie nach, ob es sich wirklich um ihren Theo handle, hatte sich die Kleidung beschreiben lassen. »Theodor Pachwitz, ganz sicher?« Nach der letzten Bestätigung musste sie schnell den Raum verlassen.
»Geht’s denn?«, lag es Termath auf der Zunge, als sie im Nebenraum zu telefonieren begann. Rücksichtsvoll flüsterte er Burmeester ins Ohr: »Die will sich eine Freundin zur Unterstützung holen. Soll sie mal, gut so.«
Von nebenan klang es anders.
»Hallo, Heidi. Du, ab heute glaube ich an Wunder … Nein, kein Sechser im Lotto, viel besser. Stell dir vor, der Theo ist tot … Nein, nicht das Herz, der ist am Morgen überfahren worden … Irgendwo bei Xanten … Nein, ich war nicht dabei, der war doch mit seiner blöden Sekte unterwegs auf Wallfahrt. Wahnsinn, oder? … Genau, der war zur richtigen Zeit am richtigen Ort … Ja, danke … Ich kann es nicht fassen, es ist vorbei, einfach so. Komm doch am Abend her und bring die Gitti und die Mia mit, dann lassen wir einen Korken knallen. Darauf muss es einen Asti geben, oder? Genau, es könnten auch mehrere werden. Ist ja keiner mehr da, der mir die Sektperlen vorrechnet. Bis nachher.«
Zurück im Wohnzimmer blickte sie in die fragenden Gesichter der beiden Kriminalbeamten und fühlte sich zu einer Rechtfertigung genötigt.
»Er ist, nein, er war ein unerträglicher Mensch, so ein Krümelzähler.
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