Die Euro-Lügner: Unsinnige Rettungspakete, vertuschte Risiken - So werden wir getäuscht (German Edition)
Zypern, sondern Deutschland war damals sein Anliegen. Unvergessen ist sein Einsatz für Berlin als Bundeshauptstadt. Allein das sichert ihm einen Platz im Geschichtsbuch. Heute unvorstellbar, aber nicht unwahrscheinlich: Ohne Wolfgang Schäuble wäre Bonn die Hauptstadt eines wiedervereinten Deutschlands.
Obwohl er es nie ausdrücklich ansprach, suchte er beim BDI doch Unterstützung gegenüber Kanzler Kohl und dessen Arbeitsminister Blüm. Während beide am liebsten »alles beim Alten« gelassen hätten, dachte Schäuble längerfristig. Er sah, dass auf den Gebieten von Wirtschaft und Arbeitsmarkt dringend Reformen nötig waren. Wollte man sie, wie es Kohls Gewohnheit war, »aussitzen«, konnte sich die wirtschaftliche Situation Deutschlands schnell verschlechtern – und damit die Akzeptanz seiner eigenen Partei.
Schäuble war damals, davon bin ich noch heute überzeugt, ein ehrlicher Makler. Ich konnte ihn sogar einmal, wohl gegen Ende 2003, bei uns zu Hause begrüßen, wobei mir ein Detail in Erinnerung geblieben ist: Als ich ihn vorher fragte, ob wir ihm Sushi anbieten könnten, antwortete er mit nachdrücklicher Bescheidenheit, wir sollten uns seinetwegen keine Umstände machen, er esse, »was auf den Tisch kommt«. Ich kenne viele Politiker, die »auf bescheiden machen« – Schäuble war bescheiden und, paradox formuliert, er war stolz darauf.
Bei diesem Abendessen hatten wir auch den Unternehmensberater Roland Berger zu Gast, und wir diskutierten über die fälligen Veränderungen des politischen Entscheidungssystems. Kurz vorher, im Oktober 2003, hatten Berger und ich den Konvent für Deutschland gegründet, ein Beratergremium namhafter Persönlichkeiten, das sich der »Reform der Reformfähigkeit« unseres Landes widmet.
Zu den Zielen des Konvents, die wir Schäuble schilderten, gehörten unter anderem die Reform des Föderalismus und Länderfinanzausgleichs, die Brechung der Parteienmacht durch Einführung plebiszitärer Elemente und die Einschränkung der Blockademöglichkeit des Bundesrates. Zu den zahlreichen prominenten Mitgliedern zählen heute Alt-Bundespräsident Roman Herzog, der den Konvent anführt, Hamburgs ehemaliger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, der als sein Stellvertreter fungiert, die Exministerin und SPD -Politikerin Renate Schmidt, der bekennende Euro-Kritiker Henning Voscherau, der Publizist Oswald Metzger, der langjährige Bayer-Chef Manfred Schneider, der ehemalige FDP -Vorsitzende Wolfgang Gerhardt, Baden-Württembergs Exministerpräsident Erwin Teufel und andere. Auch Wolfgang Schäuble gehörte zu den wichtigeren Gesprächspartnern, die für das Ziel, Deutschland dynamischer und wettbewerbsfähiger zu machen, großes Interesse zeigten.
Seit der internationalen Finanzkrise, die bald zur Eurokrise wurde, hat Schäuble seinen Fokus vom Standort Deutschland in Richtung Europa verschoben. Wie seine Kanzlerin sieht er sich als Wahrer der europäischen Einheit, als deren edelstes Symbol er die Einheitswährung betrachtet. Der Euro muss offenbar gerettet werden, auch wenn dies zu Kollateralschäden führt. Gerade diese eurozentrische Weltsicht, die Schäuble zu erfüllen scheint, stellt sowohl für die europäischen als auch für die deutschen Interessen eine Gefahr dar. Denn wenn der deutsche Finanzminister sich unablässig um die Finanzen der anderen kümmert – wer kümmert sich dann um die deutschen?
Und wie soll man Schäubles Auskunft verstehen, die Turbulenzen an den Märkten spielten ihm geradezu in die Karten? »Wir können eine politische Union nur erreichen«, sagte er 2011 der New York Times , »wenn wir eine Krise haben.« Mit anderen Worten: Eine Krise ist eigentlich eine gute Sache. Sie zwingt die Menschen zur Annahme von Beschlüssen, in diesem Fall zur politischen Einheit Europas, die sie ohne Krise wohl abgelehnt hätten. Auch Jean-Claude Juncker ist übrigens dieser Meinung: »Nur durch Krisen«, so der Luxemburger, »findet Europa zu mehr Integration.« Und er zeichnet, wie berichtet, ein Kriegsszenario an die Wand, mit dem die europamüden Deutschen eingeschüchtert werden sollen: Wenn ihr nicht spurt, gibt es wieder aufs Haupt!
Der frühere Präsident der Bundesbank, Karl Otto Pöhl, sagte schon im Mai 2010 der FAZ , er glaube, dass Krisenszenarien von den Politikern bewusst aufgebaut würden, um ihre fragwürdigen Entscheidungen konsensfähig zu machen. Damals war das deutsche Einknicken bei der Abschaffung der No-bail-out -Klausel damit begründet
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