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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Kardinal Grimani?«, flüsterte Elija.
    »Nein, seinem Vater, dem Prokurator. Kennst du ihn?«
    Als Elija den Kopf schüttelte, erzählte ich ihm in aller Kürze, was er über Antonio Grimani wissen musste.
    »Im April 1499 war der Krieg mit dem osmanischen Sultan Bajazet unvermeidlich geworden. Grimani hatte im Senat mutig für den Krieg mit den Türken gesprochen. Mit fünfundsechzig Jahren wurde er zum Admiral der venezianischen Kriegsflotte ernannt – er war damals schon Prokurator.
    In vier Seeschlachten vor der griechischen Küste kämpfte er heldenhaft gegen eine übermächtige türkische Flotte, doch er verlor sie alle. In den folgenden Monaten drangen die Türken weit auf das italienische Festland vor und standen dann eines Tages vor den Toren von Vicenza.
    Seine Niederlagen wurden Grimani im Senat vorgeworfen: Seine Feigheit und Unfähigkeit als Oberkommandierender der Flotte habe Venedig, die ›Königin der Meere‹, an den Rand des Abgrunds getrieben.
    Im November 1499 wurde Antonio Grimani in Ketten nach Venedig zurückgebracht. Seine Söhne begleiteten ihn bis ins Gefängnis des Dogenpalastes. Domenico – Kardinal Grimani dort drüben – verbrachte die ganze Nacht bei seinem Vater. Am nächsten Tag fand die Verhandlung gegen Antonio Grimani statt. Er hielt eine herzergreifende Rede, die ihn vor der Hinrichtung zwischen den Säulen auf dem Molo bewahrte.
    Der Prozess zog sich monatelang hin. Mein Cousin Antonio spielte bei der Verurteilung eine entscheidende Rolle: Grimani musste für zehn Jahre ins Exil gehen. Er kehrte erst 1509 nach Venedig zurück und wurde dann bald in den Consiglio dei Savi gewählt, wo er schnell zu einer führenden Position aufstieg. Antonios Einfluss schwand immer mehr, und seine Kritik an der venezianischen Führungsschicht, vor allem an jungen, ehrgeizigen Adligen wie Tristan, wurde immer schärfer. Leonardo Loredan unterstützt Tristans Karriere und provoziert Antonio, der ihn im Senat als unfähigen Dogen beschimpft.
    Seit Grimanis Rückkehr aus dem Exil bekriegen sich die beiden Prokuratoren auf allen Schlachtfeldern. Wer den Kampf überlebt, darf Doge werden.«
    »Antonio Grimani ist also ein mächtiger Verbündeter auf unserem Weg nach Rom.«
    »Der mächtigste von allen – und der reichste. Die Adligen haben sich in den letzten Jahren nach dem Bankrott der venezianischen Banken bei jüdischen Geldverleihern hoch verschuldet, um die Freiheit Venedigs gegen den türkischen Sultan, den Papst, den Kaiser und den französischen König zu verteidigen. Antonio Grimani war zehn Jahre lang im Exil. Im Gegensatz zu vielen anderen Adligen, wie meinem Cousin, hat Grimani sein Vermögen nicht verloren.«
    »Wie willst du ihn gewinnen?«
    »Ich habe etwas, das er besitzen will und das er sich mit allem Geld dieser Welt nicht kaufen kann.« Ich deutete auf das Buch unter meinem Arm, das Menandros in den letzten Tagen kopiert hatte, während Elija und ich das Evangelium übersetzten.
    Der einundachtzigjährige Antonio Grimani, der sich mit seinem Sohn Domenico unterhalten hatte, war aufrichtig erfreut über mein Geschenk und blätterte mit leuchtenden Augen darin wie ein kleiner Junge, der sein erstes Buch bekommen hat.
    »Mit diesem Buch über Megas Alexandros habt Ihr mir eine große Freude gemacht, mein Kind!«, gestand er gerührt und küsste mich auf beide Wangen.
    Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie Antonio die Fäuste ballte, als Grimani auch Elija freundschaftlich begrüßte und ihm dabei sogar die Hand auf die Schulter legte.
    Und auch Tristan schien wütend darüber, dass ich ohne sein Einverständnis mit Antonio Grimani und dessen Sohn sprach.
    »Kardinal Grimani ist ein bedeutender Humanist«, stellte ich Domenico vor, der neben seinem Vater stand. »Er spricht fließend Lateinisch, Griechisch und Hebräisch.«
    »Der berühmte Elia Levita – bitte verzeiht: Rabbi Elija Halevi – hat mich die heilige Sprache gelehrt«, erklärte Domenico auf Hebräisch, als er Elija begrüßte. »Schalom.«
    »Schalom, Euer Eminenz«, erwiderte Elija. »Ich freue mich, Euch kennen zu lernen. Mein Freund Elija Halevi hat mir viel von Euch erzählt.«
    »Die Freude ist ganz auf meiner Seite! Rabbi Halevi hat mir verraten, dass Ihr italienische Humanisten in der Tora und im Talmud unterrichtet. Das ist ungewöhnlich! Die meisten Gelehrten lernen doch nur Hebräisch, um die Mysterien der Kabbala zu erforschen. Wie gern würde ich eine Eurer Lektionen hören. Oder eine Eurer Predigten

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