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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Tristan hat sich so sehr ein Kind gewünscht – einen kleinen Alessandro Venier. Ihr seid seit zwei Jahren ein Paar, doch bisher bist du nicht schwanger geworden …« Leonardo sah mir in die Augen. »Verzeih mir die Frage, Celestina: Verhütest du?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Er wirkte erleichtert, weil ich keine Todsünde beging, und doch war er beunruhigt. »Heißt das …«
    »Tristan und ich können keine Kinder haben. Ich glaube, ich kann nie mehr schwanger werden. Die Vergewaltigungen …« Ich verstummte.
    Mitfühlend ergriff er meine Hand.
    Die Unterhaltungen im Saal versickerten in verlegenem Schweigen. Ich blickte zum Portal hinüber.
    Er war gekommen!
    Wie elegant er aussah! So hatte ich ihn noch nie gesehen.
    Als ich ihm entgegenging, spürte ich die Blicke der Senatoren und Würdenträger wie Dolche in meinem Rücken.
    Wer ist der Mann?, fragten sie sich. Was will er hier? Er gehört nicht zur venezianischen Nobiltà. Er ist kein Senator. Wie kann er es wagen!
    »Elija wird kommen und die Welt retten!«, begrüßte ich ihn. »Und ich sage euch, er ist schon gekommen, doch sie haben ihn nicht erkannt.«
    »Ich bezweifele, dass die Welt ausgerechnet von mir gerettet werden will«, meinte er ernst und deutete in den Saal.
    Die Senatoren starrten zu uns herüber.
    Leises Getuschel hinter vorgehaltener Hand: Ist er ein Jude? Er ist so prächtig gekleidet wie ein spanischer Adliger, und er trägt keinen aufgestickten Judenkreis.
    Wir gingen zum Dogen hinüber.
    Leonardo erhob sich, um Elija zu begrüßen.
    »Euer Hoheit, darf ich Euch Rabbi Elija ben Eliezar Ibn Daud vorstellen? Signor Ibn Daud ist aus Al-Andalus nach Venedig gekommen und unterrichtet in der Synagoge am Campo San Luca italienische Humanisten in der Tora und im Talmud«, sagte ich so laut, dass die neugierig herandrängenden Senatoren mich verstehen konnten.
    Aufgeregtes Getuschel.
    Der Doge hat einen Juden eingeladen? Welch ein Skandal!
    »Ich freue mich aufrichtig, einen berühmten Rabbi wie Euch kennen zu lernen, Signor Ibn Daud«, begrüßte ihn Leonardo in feierlichem Ton. »Celestina sagte mir, dass Ihr ein Nachkomme von König David seid. Es ist mir eine Ehre, dass Ihr meiner Einladung gefolgt seid.«
    »Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, Euer Hoheit.« Elija verneigte sich vor dem Dogen.
    »Ich hoffe, wir haben später noch Gelegenheit, uns zu unterhalten«, entließ Leonardo seinen Gast. »Celestina hat mir viel von Euch erzählt.«
    Ich hakte mich bei Elija unter. Arm in Arm gingen wir zu Antonio Contarini hinüber.
    »Der Patriarch kann uns bei unserem Vorhaben nicht helfen«, raunte ich Elija zu. »Antonio Contarini hat im Vatikan nicht so viel Einfluss wie Kardinal Domenico Grimani. Der Kardinal steht dort drüben bei Tristan und Antonio. Aber wir können den Patriarchen nicht ignorieren, denn wir brauchen sein Wohlwollen, um hier in Venedig die Evangelien in Ruhe übersetzen zu können.«
    »Erst jetzt wird mir richtig klar, was du vorhast«, flüsterte er. »Du sagst allen von Anfang an die Wahrheit: Ich arbeite mit einem jüdischen Rabbi zusammen. Er kommt in mein Haus, und ich gehe in seines. Am Ende kann niemand sagen, er hätte es nicht gewusst.«
    Dann hatten wir den Patriarchen erreicht, und ich stellte ihm Elija vor.
    »Ich war betroffen, als ich vom Tod des kleinen Moses am Pfingstsonntag hörte«, offenbarte Contarini. »Der Medicus, der das Kind zu retten versuchte, war Euer Bruder David, nicht wahr?«
    »Ja, das stimmt.«
    »Wie sehr müsst ihr Juden uns Christen hassen.«
    »Es war ein jüdischer Rabbi, der sagte: ›Liebt eure Feinde! Tut Gutes denen, die euch hassen. Segnet die, die euch verfluchen. Und betet für die, die euch misshandeln‹«, zitierte Elija das Evangelium des Lukas.
    Der Patriarch nickte versonnen. »Kennt Ihr die Eltern des kleinen Moses?«
    »Ja, Euer Eminenz. Die Familie Rosenzweig ist vor der Verfolgung aus Köln nach Venedig geflohen und wohnt in derselben Gasse wie mein Freund Rabbi Jakob Silberstern.«
    »Bitte richtet der Familie des Jungen mein aufrichtiges Beileid aus«, bat Contarini.
    »Ich danke Euch, Euer Eminenz. Das werde ich tun.«
    Wir verabschiedeten uns und schlenderten weiter durch den Saal. Die Gespräche flackerten nur sehr zögerlich wieder auf, als die Anwesenden erkannten, dass der jüdische Gelehrte keine persona non grata war, sondern durch den Dogen und den Patriarchen sehr freundlich, ja respektvoll begrüßt worden war.
    »Wem wirst du mich nun vorstellen:

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