Die Evangelistin
wollte. Wie oft kreuzte er unbeirrt gegen den Wind!« Grimanis Worte ließen jeden am Tisch erahnen, wem er diese Standfestigkeit im politischen Gegenwind nicht zutraute: Antonio Tron. »Wie sollte ich von Euch, meine liebe Celestina, etwas anderes erwarten als dignitas et excellentia , als Würde und höchste Vollkommenheit in allem, was Ihr tut!«
»Ich danke Euch, Exzellenz!«
»Bitte vergebt mir meine unstillbare Neugier! Aber Euer geheimnisvolles Lächeln übt eine unwiderstehliche Wirkung auf mich aus. Ich würde zu gern wissen, welche Verschwörung Ihr plant.« Er zwinkerte mir fröhlich zu. »Wollt Ihr mir die Freude machen und morgen Abend mit mir im Palazzo Grimani dinieren?«
»Mit dem größten Vergnügen!«, nahm ich die Einladung an und ignorierte den wütenden Blick, den Tristan mir zuwarf – offenbar war er wie Antonio verärgert, dass ich mich mit seinem gefährlichsten Gegner im Senat und mächtigsten Rivalen zum Abendessen traf.
Als das Mahl aufgetragen wurde, hatte Tristan bereits sein drittes Glas Wein geleert. Wollte er sich betrinken?
Elija stocherte mit seinem Dolch im Braten und schob das Gemüse von der einen Seite des Tellers auf die andere, um den Eindruck zu erwecken, er esse mit Genuss.
»Die Speisen, die dir serviert werden, sind koscher«, beruhigte ich ihn. »Asher Meshullams jüdischer Koch hat die fünfzehn Gänge für dich zubereitet und dein Geschirr in der Mikwa rituell gereinigt. Du kannst bedenkenlos essen.«
»Du bist wundervoll«, flüsterte er.
Während des Banketts spielte eine Gruppe Musiker leichte Stücke von Antoine Brumel und Josquin Desprez, die in der angeregten Unterhaltung bei Tisch beinahe ungehört verklangen.
Sobald die Diener die Teller des letzten Gangs abgetragen hatten, sprang Tristan auf und zog mich mit sich in den benachbarten Saal.
»Ich will den ganzen Abend mit dir tanzen!« Er küsste mich sehr leidenschaftlich. »Niemand darf dich mir wegnehmen! Schon gar nicht dieser verdammte Ju…«
»Tristan, du bist betrunken!« Energisch entwand ich mich seiner Umarmung. »Wenn du wieder nüchtern bist, darfst du mich um einen Tanz bitten. Du weißt, wo du mich dann finden kannst.«
Ich ließ ihn stehen und kehrte in den Bankettsaal zurück. An der Tür wäre ich beinahe mit Antonio zusammengestoßen, der mit gesenktem Blick in Richtung Portal strebte. Mein Cousin murmelte eine Entschuldigung und eilte an mir vorbei.
Er wirkte verstört: Schon während des Banketts hatte ich bemerkt, dass er ungeduldig auf das Ende der Speisenfolge wartete, um … ja, um was zu tun?
Kopfschüttelnd ging ich durch den Bankettsaal zu Elija hinüber.
»Mein Liebster, würdest du gern die Tarantella mit mir tanzen?«
»Ich dachte, du tanzt mit Tristan …«, begann er verwirrt und sah zum Portal des Saals hinüber. »Wo ist er?«
»Tristan nimmt ein Bad in der Lagune.«
»Celestina, das ist gegen jede gesellschaftliche …«
»Ich hatte nicht vor, heute Abend mit dir über Moral und Anstand und gesellschaftliche Konventionen zu diskutieren. Ich will mich mit dir amüsieren, mein Geliebter.«
Leonardo beobachtete mit ungläubig zusammengekniffenen Augen, wie Elija mir in den anderen Saal folgte. Antonio Grimani dagegen verzog amüsiert die Lippen und nahm sich erneut das Buch vor, um ein wenig darin zu blättern.
Elija und ich tanzten die Tarantella und einen Saltarello.
Noch vor wenigen Tagen hatte ich bezweifelt, dass wir jemals auf einem Fest der venezianischen Nobiltà miteinander tanzen würden!
Nach dem zweiten Tanz hielt er inne.
Ich folgte ihm zu den großen Fenstern, die auf die nächtliche Lagune blickten. »Du bist plötzlich so ernst! Was ist los?«, fragte ich und lehnte mich gegen ihn.
»Während wir uns hier amüsieren, leidet Salomon Ibn Ezra in den Pozzi an den Wunden der Folter.«
Ich blickte Elija in die Augen. »Würdest du ihn gern besuchen?«
»Ist das möglich?«
»Nein«, sagte ich ruhig. »Aber ich mache es möglich.«
Ich bat ihn, auf mich zu warten, und kehrte in den Bankettsaal zurück, um Leonardo meinen Wunsch vorzutragen. Zuerst zögerte er, doch dann gab er nach und schickte einen Boten ins Gefängnis im Erdgeschoss. Ich kehrte zu Elija zurück. Gemeinsam stiegen wir die Treppen hinunter zu den Pozzi.
Mit lautem Schlüsselgerassel wurde die Tür zu Ibn Ezras Zelle aufgeschlossen. Ein moderiger Geruch wie aus einem Grab wehte uns entgegen. Ein Wächter reichte Elija eine Kerze, und ich folgte ihm in die dunkle
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