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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Kammer.
    Die Gefängniszellen im Ostflügel des Palastes wurden wegen der ständigen Feuchtigkeit Pozzi, Brunnen, genannt – sie lagen auf der Höhe des Meeresspiegels. Sie waren aus Stein gemauert und mit dicken Holzbohlen ausgeschlagen. Eine Holzpritsche diente als Bett, ein Brett an der Wand als Regal, ein Eimer mit Deckel als Abtritt. Im Vergleich zu den engen, schmutzigen und von Ungeziefer verseuchten Massenkerkern anderer Städte waren die Pozzi, wo jeder Gefangene eine saubere Zelle und ein Bett hatte, menschenwürdige Gefängnisse.
    Elija stellte die flackernde Kerze auf das Regalbrett und setzte sich auf den Rand der Pritsche, wo Ibn Ezra zusammengekrümmt unter einer Wolldecke lag.
    Elija ergriff seine Hand. »Schalom, Salomon!«, sagte er und strich dem Mann, dessen Gesicht im Schatten lag, sanft eine Haarsträhne aus der Stirn.
    »Qué pasó?« Salomon blinzelte panisch in das Licht der Kerze. Fürchtete er, in dieser Nacht exekutiert zu werden?
    Er wollte sich aufrichten, doch Elija drückte ihn auf das Lager.
    »Cómo estás?«, fragte Elija.
    »Estoy tán contento que estás aquí, Rabino«, antwortete Salomon erleichtert.
    »Tienes dolor?«
    »Si«, nickte der Gefolterte gequält. »Y tengo sed.«
    Elija schenkte ihm aus einer Karaffe einen Becher Wasser ein, den Salomon durstig leerte. Dann erst bemerkte er mich. »Quién es?«
    »Celestina es una amiga.«
    »Es cristiana tu amiga, verdad?«, wollte Salomon wissen.
    »Si«, nickte Elija. »Todavía.«
    »Sois amantes?«
    Elija nickte stumm, und Salomon seufzte.
    Elija fragte, ob er etwas für ihn tun könne, aber der Gefangene schüttelte den Kopf und wies auf das Buch neben sich: das Alte Testament in Lateinisch – er habe alles, was er brauche. Elija half dem geschwächten Salomon auf die Beine, stützte ihn und betete mit ihm auf Hebräisch. Es war ein trauriges Gebet. Dann führte Elija ihn sehr liebevoll zurück zu seinem Bett.
    »Gracias por la bendición, Rabino!«, flüsterte Salomon. »Hasta luego.«
    Traurig verabschiedete sich Elija. Es würde wohl kein ›Hasta luego – Wir sehen uns bald wieder‹ mehr geben. »Schalom, Salomon.«
    Dann nahm er die Kerze vom Regalbrett und zog mich aus der Zelle. Die Tür wurde hinter uns zugesperrt.
    Elija und ich gingen hinaus in den Hof des Dogenpalastes. Er war sehr still, als er zu den erleuchteten Fenstern des Bankettsaals hinaufblickte. Fröhliche Musik wehte zu uns herab.
    »Ich würde gern einen Augenblick allein sein …«, begann er. Als ich mich abwenden wollte, hielt er mich fest. »… mit dir.«
    Sein Gesicht glühte im Schein der Fackeln im Innenhof.
    Tristans Auftreten hatte ihn sehr verletzt.
    »Lass uns zum ›Königreich der Himmel‹ hinaufgehen«, schlug ich vor. »Dort sind wir ungestört.«
    Ich nahm seine Hand und führte ihn die Treppe hinauf zur Dachkammer. Von innen verriegelte ich die Tür, um dann Elija in die Finsternis des weiten Raumes zu folgen.
    »Du hast Salomon Ibn Ezra nicht gefragt, ob er die Conversos verraten hat, die wie er als Juden leben.«
    »Nein«, erwiderte Elija. »Ich war im Gefängnis, um Salomon zu trösten, und nicht, um das Verhör der Dieci fortzusetzen. Salomon hat gewiss niemanden verraten.«
    »Auf seine Frage ›Sois amantes?‹ hast du eben genickt. Nach Tristans Verhalten dir gegenüber im Empfangssaal und während des Banketts … Nach meinem Verhalten dir gegenüber in den letzten Wochen … Verzeih mir: Ich wollte dir nicht wehtun! Aber ich habe es nicht über mich gebracht, dir von der Liebe zwischen Tristan und mir zu erzählen!«
    Ich holte tief Luft.
    »Bitte versteh mich nicht falsch, Elija! Aber sind wir noch Liebende?«

    »Die Hölle sind wir!«
    Tristan saß mit einer halb leeren Karaffe schweren Rotweins auf der Treppe. Offensichtlich hatte er seit Stunden auf mich gewartet – die Kerzen im silbernen Leuchter neben ihm auf den Stufen waren fast heruntergebrannt.
    Ich schloss das Portal der Ca’ Tron und lehnte mich dagegen. Es zerriss mir fast das Herz, den stolzen Tristan so zu sehen.
    »Wir erschaffen uns das Inferno selbst – jeden Tag aufs Neue«, murmelte er in sein Weinglas und leerte es bis zum letzten Tropfen. »Sag mir, du große Philosophin: Gibt es Liebe ohne Leiden?«
    »Nein.«
    Er schenkte sich erneut das Glas voll. »Ich habe in den letzten Stunden, als ich auf dich gewartet habe, Höllenqualen erlitten. Ich bin durch den Palazzo Ducale geirrt, weil ich mit dir reden wollte, doch ich habe dich nicht gefunden.

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