Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
Vom Netzwerk:
Savdai auf einen hohen Berg führte.
    Wenige Verse zuvor fand in der Gegend von Caesarea Philippi, das ist weit im Norden, die seltsame Szene statt, in der Jeschua den Schimon fragte: ›Wer, glaubt ihr, bin ich?‹ Und Schimon antwortete: ›Du bist der Maschiach, der Sohn des lebendigen Gottes!‹
    Das ist die einzige Szene, in der Jeschua als Maschiach – als Christos – bezeichnet wird. Mit anderen Worten: Dies ist die Proklamation zum König! In diesem Moment hat Jeschua sich entschieden, die Königswürde anzunehmen und damit die Verantwortung, vor der er monatelang geflohen war. Und er hat seine Gefolgsleute aufgefordert, diese Entscheidung noch geheim zu halten!
    Der nächste Satz, ›Du bist Petrus, und auf diesem Felsen werde ich meine Kirche errichten‹, ist eine nachträgliche christliche Einfügung. Und im Übrigen schrieb Rabbi Shemtov in seinem hebräischen Evangelium nicht Kirche, sondern Synagoge.« Ich holte tief Luft. »Oder meinte Jeschua vielleicht einen neuen Tempel? Sprach er in Jeruschalajim nicht davon, den Tempel niederzureißen und einen neuen zu errichten?«
    Wie gebannt hingen Celestina und Menandros an meinen Lippen. Doch ich wollte die Frage nach der so genannten Tempelreinigung nicht beantworten. Noch nicht!
    »Die Interpretation, Jeschua habe seinen Anspruch, der erwartete Maschiach zu sein, nie offen geäußert, sondern in seiner Lehre und in seinen Gleichnissen vom Kommen des Gottesreiches und des Menschensohns verborgen, ist völlig unsinnig«, fuhr ich fort. »Es gibt kein Messiasgeheimnis – es sei denn, man nennt so die konsequente Verschleierung der Wahrheit durch die Evangelisten.
    Matthäus, Markus, Lukas und Johannes haben die Schatztruhen der jüdischen Hoheitstitel geplündert und Jeschua sämtlichen Schmuck umgehängt, dessen sie nur habhaft werden konnten: Messias, Erlöser, Leidender Gottesknecht, Davidssohn, Menschensohn und Gottessohn.
    Der Titel Sohn Gottes bedeutet das Erwähltsein durch Gott, nicht die Göttlichkeit. Die Idee, dass Gott einen Sohn haben könnte, ist dem Judentum fremd. Doch aus dem gesalbten ha-Melech ha-Maschiach der Juden, einem Menschen, der den Königstitel Sohn Gottes trug, haben die Evangelisten einen von den Wolken des Himmels herabsteigenden geheimnisvollen Erlöser und Weltenrichter gemacht! Einen Christos, die Inkarnation des göttlichen Wortes.«
    Dann fuhr ich fort:
    »Aber wenn der Sohn Gottes, der mit dem göttlichen Vater eins ist, in die Welt hinabstieg, um sie zu erlösen, warum musste dieser Gottessohn – dieser Menschensohn aus Daniels Vision – von den Menschen, die doch gerade von ihren Sünden erlöst werden sollten, mit Öl gesalbt werden? Der Titel Menschensohn ist in diesem Zusammenhang völlig unsinnig, denn Jeschua hat sich niemals selbst als Menschensohn bezeichnet! Genügt denn nicht das Wort des Allmächtigen, wenn Er sagt: ›Dies ist mein Sohn!‹? Wozu also die Salbung mit Öl, wenn Jeschua nicht wirklich der König der Juden war, der, wie er dem Volk verkündet hatte, das Reich Gottes in Israel errichten wollte?«
    Keine Antwort. Aber tausend Fragen in ihren Blicken.
    Menandros war erschüttert. In diesem Moment stürzte sein Glauben an den göttlichen Menschensohn mit Donnergetöse ein – endgültig!
    Er war traurig, obwohl er doch wusste, dass Jeschuas Gottessohnschaft erst auf dem Konzil von Nikaia im Juni 325 durch Abstimmung mit zwei Gegenstimmen festgelegt worden war: Er war ›aus dem Wesen des Vaters‹, ›Gott aus Gott, Licht aus Licht‹, ›wesensgleich mit dem Vater‹. Die Bischöfe, die ihre Unterschrift verweigert hatten, waren exkommuniziert worden.
    Ich holte tief Luft. »Die Juden erwarteten damals verschiedene Erlösergestalten: einen Menschen, der zum König, zum ha-Melech ha-Maschiach, gesalbt würde und der als Nachfolger Davids, als Davidssohn, herrschen, das Gottesreich in Israel errichten, das Gottesvolk befreien und die Römer in einer gewaltigen Schlacht vertreiben sollte. Einen apokalyptischen Engel wie in Daniels Vision: einen Menschensohn, der auf den Wolken vom Himmel herabsteigt und die Welt innerhalb von wenigen Tagen erlöst. Einen Propheten, dessen Ankunft Mosche vorausgesagt hatte: ›Einen Propheten wie mich wird der Herr, unser Gott, aus euren Brüdern erwecken – dem sollt ihr gehorchen!‹ Und einen Propheten, in dem einige den zurückgekehrten Mosche, andere den aus dem Himmel herabgekommenen Propheten Elija sahen. Gott sprach: ›Siehe, Ich will euch senden den

Weitere Kostenlose Bücher