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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Propheten Elija, ehe der große und schreckliche Tag des Herrn kommt!‹
    Das gedemütigte jüdische Volk wartete vor allem auf einen Befreier, der Davids Reich wiederherstellte. Keiner dieser sehnsüchtig erwarteten Erlöser, Engel, Könige oder Propheten sollte einen Sühneopfertod zur Vergebung der Sünden sterben. Und schon gar nicht an einem römischen Kreuz.
    Die Zeloten – ein großer Teil von Jeschuas Gefolgsleuten waren Widerstandskämpfer: Zeloten und Sikarier! – erwarteten einen kriegerischen Maschiach ben David, der in Jeruschalajim den Kampf gegen die Gojim aufnehmen und die Römer endgültig besiegen sollte.
    Jeder Führer, dem es gelang, die Römer zu besiegen und einen unabhängigen jüdischen Staat zu errichten, würde als Maschiach anerkannt werden. Sein Erfolg würde seinen Anspruch bestätigen, auch wenn er kein Nachkomme Davids war – wie Schimon Bar-Kochba, den Rabbi Akiba hundert Jahre später, während des Jüdischen Krieges, zum Maschiach ausrief. Tatsächlich hatte es bereits einige Jahre vor Jeschua Anführer von Widerstandsbewegungen gegeben, die sich zu Königen ausgerufen hatten – und scheiterten.
    Jeschuas Cousin Johanan der Täufer, einer der berühmtesten Führer einer messianischen Bewegung, hatte sich selbst nie als Maschiach bezeichnet – er wartete auf den, der kommen sollte. Wegen des Aufruhrs, den er durch seine apokalyptischen Predigten verursachte, wurde er im Jahr 33 oder 34 von Herodes Antipas hingerichtet, wie uns Flavius Josephus überliefert hat.
    Jeschua war also weder der Erste, der von seinen Gefolgsleuten zum König ernannt wurde, noch war er der Letzte. Er scheiterte wie alle anderen.«
    Ich lächelte traurig.
    »Ihr seht: Wir Juden haben in all den Jahrhunderten seit dem Exil in Babylon derart unerfüllbare Forderungen an den erwarteten Maschiach gestellt, dass er angesichts der übermenschlichen Aufgabe, der Gerechtigkeit Gottes zum Sieg zu verhelfen, und angesichts des sicheren Scheiterns – nicht an unseren Feinden, sondern an unseren Erwartungen an ihn! – gar nicht erst gekommen ist.«
    Menandros verzog die Lippen: »Du bist zynisch!«
    »Nach einer Wartezeit von zweitausend Jahren darf ich doch wohl zynisch sein!«, gab ich zurück. »Aber wir Juden sind unverbesserliche Optimisten. Wir glauben noch immer, dass er irgendwann kommen wird. Es gibt eine rabbinische Geschichte von einem wartenden Maschiach. Er lebt unerkannt bei den Kranken und den Bettlern vor den Toren Roms. Dort wird er in jeder Generation neu geboren – und wartet.«
    »Auf wen?«, fragte Menandros verwirrt.
    »Er wartet auf dich.«
    »Auf mich?«
    »So lautet die rabbinische Antwort: Der Maschiach wartet auf dich. Wenn du … wenn jeder von uns die Gebote hält und wenn wir ihm helfen, seine Aufgabe zu erfüllen, dann wird er erscheinen und die Welt erlösen – Juden und Gojim.
    Das Gottesreich fällt nicht vom Himmel – jeder von uns muss für den Frieden kämpfen.«
    Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und trank einen Schluck Wein. Menandros schenkte mir sofort nach, obwohl mein Glas erst zur Hälfte geleert war.
    »Kehren wir also zurück zu Jeschua und seinen Gefolgsleuten in der Gegend von Caesarea Philippi. Schimon hat Jeschua gerade als seinen König anerkannt. Was tat Jeschua? Er sprach davon, dass er nach Jeruschalajim gehen wollte, um dort die Macht zu ergreifen. Er sandte seine Gefolgsleute aus, die seine königliche Reise durch das Reich Israel vorbereiten sollten. Und er, der eigentlich nie König sein wollte, warnte seine jubelnden Vertrauten: ›Wer mich begleiten will, muss wissen, dass ihm der Tod am Kreuz droht.‹
    ›Und nach sechs Tagen nahm Jeschua den Schimon Kefa und Jakob und Johanan, seinen Bruder, mit und führte sie abseits auf einen hohen Berg …‹«, zitierte ich Matthäus. »Es ist der Berg Hermon, nicht der Tabor. Die Wendung ›nach sechs Tagen‹ und ›der hohe Berg‹ verweisen auf Mosches Bund mit Gott auf dem Berg Sinai. Sechs Tage lang hatte eine Wolke den Berg Sinai verhüllt. Am siebten Tag offenbarte sich Gott dem Menschen. Der Schabbat war also der Tag, an dem der Mensch Gott begegnete.«
    Ich las weiter:
    »›Und er wurde vor ihnen verwandelt. Sein Gesicht leuchtete wie die Sonne.‹ Das ist eine Anspielung auf Schauls Salbung durch den Propheten Samuel: ›Und der Geist des Herrn wird über dich kommen, und du wirst in einen anderen Menschen verwandelt werden‹, also im symbolischen Sinne neu geboren werden als Sohn

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