Die Evangelistin
Dogenpalastes zu gelangen und einen Blick in den Hof zu werfen, bevor die Wachen mich vertrieben. Am Fuß der Freitreppe stand Signor Venier in der schwarzen Seidenrobe des Zehnerrrats.«
Tristan nahm an einer Sitzung des Maggior Consiglio teil? Fürchtete er einen erneuten Angriff Zaccaria Dolfins wegen der Freilassung von Salomon Ibn Ezra? Wollte er sich vor dem Senat rechtfertigen? Seine Amtszeit als Capo dei Dieci lief in wenigen Tagen aus, und der Zehnerrat würde einen neuen Vorsitzenden wählen.
»Was hat Tristan getan?«, wollte ich wissen. »Hat er mit dem Mann, den du verfolgt hast, gesprochen?«
»Nein, hat er nicht. Er stritt sich mit einem Mann in einer Prokuratorenrobe. Die beiden sind beinahe aufeinander losgegangen. Als der andere sich umwandte, um den Mann, den ich verfolgt habe, zu begrüßen, erkannte ich ihn: Es war Signor Tron.«
Antonio Tron?
Celestina sah mich bestürzt an. »Ich muss mit dir sprechen, Elija«, flüsterte sie ängstlich. »Allein!«
Als ich nickte und den Teller wegschob, erhob sie sich, und ich folgte ihr hinauf in mein Arbeitszimmer. Ich schloss die Tür hinter mir.
»Wenige Stunden nachdem Antonio dich während des Banketts im Dogenpalast traf, brannte Arons Kontor ab«, erinnerte sie mich besorgt. »Tristan und du, ihr habt euch gegenseitig das Leben gerettet. Noch in derselben Nacht hat Tristan eine Untersuchung angeordnet, weil er vermutete, dass der Brand vorsätzlich gelegt worden war, nachdem jemand in Arons Tesoro vergeblich nach einem Kreditvertrag gesucht hatte.«
Ich nickte. »Dein Cousin hat Schulden bei Aron, die er nicht zurückzahlen kann. Vor Jahren hat er sich sechstausend Zecchini geliehen. Mit den angefallenen Zinsen, die er nie bezahlt hat, sind das zehntausend Zecchini.«
»Kein Wunder, dass Antonio sich im Senat gegen die Vertreibung der Juden ausgesprochen hat. Und dass er Asher Meshullam erst vor wenigen Wochen versichert hat, eine Umsiedelung auf die Terraferma, nach Mestre oder Padua, käme für ihn nicht in Frage. Alles würde er tun, um das zu verhindern.«
Ich erinnerte mich an mein Gespräch mit Aron, als ich ihn vor einer Woche fragte, wer seiner Ansicht nach als Brandstifter in Frage käme. »Der Prokurator Antonio Tron, einer der mächtigsten Männer nach dem Dogen, wird sich mit seinem ganzen Einfluss für die dauerhafte Verlängerung der Condotta zwischen der jüdischen Gemeinde und der Republik Venedig einsetzen – zu vernünftigen Bedingungen«, hatte mein Bruder gesagt. »In unserem letzten Gespräch habe ich ihm das Versprechen abgerungen, dass er seinen Freund Zaccaria Dolfin davon abhält, im Senat weiterhin die Ausweisung der jüdischen Gemeinde nach Murano oder auf die Terraferma zu fordern.«
Sie sah mich an. »Ich vermute, Antonio erpresst Tristan, um seine Schulden bei Aron bezahlen zu können. Und Tristan leiht sich das Geld ausgerechnet bei deinem Bruder! Bei wem auch sonst, wenn ich davon nichts wissen soll? Neben Chaim Meshullam ist Aron der reichste jüdische Bankier in Venedig! Nur er kann Tristan die Summe …« Sie verstummte und schlug sich die Hand vor die Lippen. »Um Himmels willen!«
»Was ist?«
»Antonio hat nicht nur Tristan in der Hand! Er hat Tristan gezwungen, das Geld innerhalb weniger Stunden zu besorgen. Es war Sabbat! Tristan kann die gesamte Summe also nur bei einem Bankier geliehen haben, denn die Kontore der jüdischen Geldverleiher schließen rechtzeitig vor dem Sonnenuntergang zu Beginn des Sabbat. Antonio weiß, dass der Kredit, den Aron Tristan gewährt hat, nicht den Bestimmungen der Condotta entspricht und damit illegal ist!«
»O nein!«, rief ich aus.
»Antonio hat Aron die zehntausend Zecchini, die er von Tristan erhalten hat, nicht zurückbezahlt, denn die Zahlung würde in Arons Kontobüchern auftauchen«, spann sie den Faden weiter. »Und dann hat er uns während des Banketts zusammen gesehen: Ich habe dich dem Dogen vorgestellt, dem Patriarchen, dem Prokurator Grimani, seinem Sohn, dem Kardinal, und Tristan. Antonios erbittertsten Feinden!«
Sie schüttelte den Kopf und fuhr sich über die Stirn.
»An jenem Abend, als ich euch vorstellte, habe ich mich gewundert, weil ihr euch zu kennen schient. Aber jetzt verstehe ich alles: Du wusstest von seinen Schulden bei Aron. Und ihm war klar, dass du Bescheid weißt. Kein Wunder, dass er so höflich war! Dieser verdammte Intrigant!
Er musste handeln, als er uns zusammen sah. Während des Tanzes nach dem Bankett verschwand er für
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