Die Evangelistin
Rücken, haken sich fest und reißen entsetzliche Wunden. Blut strömt an seinem Körper herab, spritzt bei jedem Schlag der Geißel auf das Steinpflaster. Schließlich sinkt Jeschua entkräftet auf die Knie, windet sich vor Qualen im Staub des Praetoriums, stöhnt vor Schmerz …«
Menandros barg das Gesicht in seinen Händen.
»… aber immer wieder erhebt er sich, wenn die Folterknechte denken, sie hätten seinen Willen gebrochen. Immer wieder schlagen sie in ihrem Zorn über seinen Stolz auf ihn ein – auf die Arme, mit denen er sich an der Säule festhält, auf die Beine, die schließlich unter ihm nachgeben. Er liegt in seinem eigenen Blut und steht nicht wieder auf.
Seine Fesseln werden durchtrennt, und er wird hochgerissen. Eine Dornenkrone wird ihm auf den Kopf gesetzt und brutal festgedrückt – die spitzen Dornen bohren sich ihm schmerzhaft in die Stirn und den Nacken, das Blut läuft ihm wie Tränen über das Gesicht. Dann wird ihm sein purpurfarbenes Gewand umgehängt, in dem er zuvor das Königsgesetz verlesen hat, und die römischen Legionäre huldigen ihm höhnisch als Rex Iudaeorum.
Als sie ihn genug gedemütigt haben, reißen sie ihm das von den Geißelwunden blutdurchtränkte Gewand herunter und treiben ihn nackt über den Hof. Eine Holztafel wird ihm umgehängt, darauf steht in lateinischer, griechischer und hebräischer Sprache: Jeschua der Nazoräer, König der Juden. Zwei römische Folterknechte schleppen das Patibulum heran und laden den schweren Holzbalken, an dem Jeschua gekreuzigt werden soll, auf seine Schultern. Geschwächt von der Geißelung sinkt er unter der schweren Last auf die Knie, die Holzsplitter des grob behauenen Kreuzbalkens reißen ihm die Schultern wund.
Dann wird er erneut hochgezerrt und mit dem Patibulum auf seinen Schultern von der Burg Antonia durch die Gassen von Jeruschalajim getrieben. ›Das Joch des Himmelreichs auf sich nehmen‹, so heißt diese Tortur in der Sprache der jüdischen Widerstandskämpfer.«
Ich sah David an, wie schwer ihm das Sprechen fiel.
»Es ist früh am Morgen. Wie ein Lauffeuer hat sich die Nachricht von Jeschuas Festnahme und Verurteilung durch die Römer in der Stadt verbreitet. Seine Gefolgsleute, die während der Nacht noch gekämpft haben, mischen sich unter die Sukkot-Festpilger, die die Stadt noch nicht verlassen haben. Stumm sehen sie zu, wie Jeschua mit dem Kreuzbalken auf dem Rücken durch die Straßen wankt. Welch eine Demütigung für das jüdische Volk!
Frauen drängen heran, um Jeschua einen Betäubungstrank zu reichen – das ist bei Hinrichtungen so üblich. Im Talmud heißt es: ›Wer abgeführt wird, um hingerichtet zu werden, dem reicht man einen Becher Wein mit Weihrauch, um seine Sinne zu benebeln.‹ Doch die Frauen werden von den Römern brutal zurückgestoßen. Jeschua soll leiden, damit auch der letzte seiner Anhänger begreift, dass der Aufstand gescheitert ist!
Einige in der Menge beginnen, zuerst sehr leise, dann immer lauter, den zweiundzwanzigsten Psalm zu singen: ›Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Mein Gott, ich rufe bei Tage, und Du antwortest nicht, und bei Nacht, und ich finde keine Ruhe. Auf Dich vertrauten unsere Väter, und Du hast sie gerettet. Zu Dir schrien wir um Hilfe!‹
Schwingt Enttäuschung in ihren tränenerstickten Stimmen, Verzweiflung, Trauer oder Zorn? Wie konnte Gott dieses Unrecht zulassen, dass ihr gesalbter König, ihre Hoffnung auf Freiheit, blutig gegeißelt wurde! Wie konnte Er die Gojim über den Maschiach, den König von Israel, triumphieren lassen! Und doch: Was ist dieser Tod am Kreuz anderes als die Heiligung des Gottesnamens durch das Opfer des Martyriums?
Der Kiddusch ha-Schem«, erklärte David, »ist die letztmögliche Konsequenz unseres Glaubens: die Selbsthingabe an Gott. Es war das, was Elija an jenem Karfreitag in Córdoba versucht hatte, als Sarah und Benjamin …«
Er brach ab, als ich ihm einen zornigen Blick zuwarf. »Verzeih mir!«, bat er leise.
Als ich ernst nickte, fuhr er hastig fort:
»Angetrieben von seinen Peinigern schleppt Jeschua den schweren Kreuzbalken von der Burg Antonia im Osten der Stadt bis zum westlichen Stadttor. Als er stürzt und sich nicht wieder erhebt, wird Schimon von Kyrenai aus der Menge gezerrt, damit er das Patibulum trägt.
An der Hinrichtungsstätte wird Schimon der Querbalken abgenommen. Jeschua, von der Geißelung völlig entkräftet, muss sich mit weit ausgebreiteten Armen auf das Patibulum legen.
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