Die Evangelistin
nicht gleich wieder in Tränen auszubrechen.
»Ich bin durstig nach dem Ritt.« Sie erhob sich vom Bett und brachte ihr Kleid in Ordnung, ohne mich dabei anzusehen. »Ich werde uns zwei Gläser Wein holen. Ich bin gleich zurück!«
Ich ließ mich in die Kissen fallen und starrte in das flackernde Licht der Kerze. Was war denn bloß geschehen? Was hatte sie so tief verletzt, dass sie vor mir floh, weil sie meine Nähe nicht ertrug? Traurig drehte ich mich auf die Seite und vergrub meinen Kopf im Kissen. Wie hatte ich ihr nur so wehtun können?
Meine Hand glitt unter das Kopfkissen – dann spürte ich es.
Ein Ring?
Ich zog ihn unter dem Kissen hervor und betrachtete ihn: Es war ein Saphirring, der einen eingerollten Brief umschloss.
Ungläubig starrte ich auf den Ring in meiner Hand.
Tristans Ring!
Und ein Brief?
Ich weiß nicht, warum ich ihn nicht einfach auf den Nachttisch legte – oder zurück unter das Kopfkissen, wo sie ihn doch offenbar versteckt hatte. Celestinas Tränen hatten mich sehr aufgewühlt. Weinte sie wegen dieses Briefes? Was hatte Tristan ihr geschrieben?
Mit zitternden Fingern, als ahnte ich, was ich gleich lesen würde, zog ich Tristans Ring vom eingerollten Schreiben und strich es glatt.
Es war ein Brief, der mich in der Tiefe meiner Seele berührte.
In bewegenden Worten dankte Tristan ihr für ihre innige Freundschaft, für das Vertrauen und die Liebe.
›Ich sehne mich nach dir! Nachts liege ich allein in meinem Bett, umarme das Kissen neben mir und weine mich in den Schlaf. Wie glücklich waren wir noch vor ein paar Tagen!‹, hatte er geschrieben. Ein paar trostlos-traurige Zeilen weiter las ich von ihrer gemeinsamen Reise nach Florenz:
›Wie oft denke ich daran, wie wir uns mitten in der Nacht in die kleine Kapelle des Palazzo Medici schlichen und zwei Kerzen entzündeten! Erinnerst du dich? »Unsere Liebe ist wie das Licht dieser Kerzen«, hast du gesagt. »Wir können es nicht festhalten. Aber wir können das Licht in uns bewahren, damit es unsere Seelen erleuchtet und unsere Herzen wärmt. Und wir können die Flamme hüten und vor dem Sturm bewahren. Denn wenn das Licht verlöscht, ist es zu spät. Für immer.«
Mein Licht ist nicht erloschen, Celestina. Jede Nacht brennt die Kerze neben meinem Bett, während ich voller Sehnsucht darauf warte, dass du zu mir zurückkehrst.‹
Ich war zutiefst verstört, als ich seine Worte las. Aber ich konnte Tristans Brief nicht weglegen, und so quälte ich mich bis zum Ende durch seine traurigen Zeilen:
›Als wir in Florenz die Ringe tauschten, habe ich dir geschworen, dass ich dich lieben werde, bis der Tod uns auseinander reißt, und dass ich jeden Tag meines Lebens um dich kämpfen will. Ich bin verzweifelt, Celestina, aber ich gebe nicht auf! Ich werde auf dich warten, gleichgültig, wie lange es dauern wird.
Nimm den Ring zurück, den du mir in jener wundervollen Nacht, der schönsten meines Lebens, an den Finger gesteckt hast, als du mir schworst, mich zu lieben. Bewahre ihn wie die Flamme unserer Liebe und erinnere dich daran, wie glücklich wir waren! Und wenn du so weit bist, dann bring ihn mir zurück und steck ihn mir wieder an den Finger, wie damals in Florenz.
Ich warte auf dich, Celestina! Ich werde immer auf dich warten!
Und denke daran: Vor Gott bin ich dein Mann, und du bist meine Frau.
Dein dich innig liebender Tristan!‹
Bestürzt rollte ich den Brief zusammen und steckte ihn wieder in den Saphirring.
O Gott, was hatte ich getan! Ich hatte ihre Liebe zerstört!
Tristan und Celestina waren verlobt!
Ein furchtbarer Schmerz durchzuckte meine Brust.
Ich hatte … Nein, ich wagte kaum, daran zu denken! … ich hatte mich versündigt … Nach jüdischem Recht waren Tristan und Celestina so gut wie verheiratet.
»Adonai, vergib mir! Ich wusste doch nicht, dass sie sich einander versprochen hatten! Der Topasring an ihrem Finger … die Rosen auf der Treppe … Tristans verletzte Gefühle während des Banketts im Dogenpalast … Ich wusste doch nicht, dass sie heiraten wollten!«
Deshalb war Celestina so verstört gewesen, als ich sie fragte, ob sie meine Frau werden wollte! Deshalb hatte sie geweint, als ich ihr meinen Herzenswunsch nach einem Kind gestand! Sie hatte mir nicht in die Augen sehen können. Jetzt verstand ich, warum!
War denn unsere Liebe wirklich nur eine Affäre, wie Tristan sie vor ein paar Tagen genannt hatte? Eine Liaison amoureuse, deren hell loderndes Feuer viel zu schnell erlöschen
Weitere Kostenlose Bücher