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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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wäre beinahe gestürzt – mir war schwindelig!
    Wie schwerelos schwebte ich zur Schlafzimmertür, die nur angelehnt war. Dann huschte ich durch mein Arbeitszimmer, bis ich zitternd auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch sank.
    Ich fühlte mich elend.
    War die Übelkeit eine der Nebenwirkungen des Opiums?
    Erschöpft lehnte ich mich auf dem Sessel zurück, zog die nackten Beine an und legte meine Arme um die Knie. Ich schloss die Augen und dachte an Elija, der mich verlassen hatte und der genauso litt wie ich.
    Mein Liebster, komm zurück zu mir!
    Ich griff nach meinem Manuskript, das seit Tagen unberührt auf dem Schreibtisch lag. Über die Würde und die Erhabenheit des Menschen. Im Mondlicht flog mein Blick über die Seiten, die ich vor Monaten geschrieben hatte und die Gianni das ›Credo der Humanitas‹ nannte.
    Wie unsinnig, wie nichtig war, was ich geschrieben hatte!
    Wenn ich in den Sprachen der Menschen und der Engel rede, aber die Liebe nicht habe, bin ich nichts. Wenn ich als Humanistin Erfolg und Ruhm gewinne, aber die Glückseligkeit nicht habe, habe ich nichts. Glaube, Hoffnung, Liebe … die größte von diesen ist die Liebe. Ich hatte alle drei verloren.
    Und ich hatte Elija verloren.
    Ich kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit. Ich schlug mir die Hand vor den Mund und hastete zur Treppe, die Stufen hinunter, hinaus in den Garten.
    Zitternd fiel ich zwischen den Rosenbeeten auf die Knie und übergab mich. Dann brach ich zusammen.
    Menandros kniete sich neben mich. Hatte ich ihn geweckt?
    Behutsam strich er mir das schweißnasse Haar aus der Stirn. »Ich bringe dich ins Bett«, versprach er mir. Dann hob er mich hoch und trug mich die Treppen hinauf ins Schlafzimmer.
    In seinen Armen schlief ich endlich ein.

    »… mir solche Sorgen gemacht! Wie geht es ihr?«, riss seine Stimme mich aus meinen Träumen.
    »Sie leidet unter der Trennung. Sie hat furchtbare Angst vor der Einsamkeit, aber ich habe sie keinen Augenblick allein gelassen. Ich habe ihr Opium gegeben, damit sie endlich zur Ruhe kommt. Seit heute Morgen schläft sie tief und fest – den ganzen Tag ist sie nicht aufgewacht. Sie träumt – von ihm .« War das Menandros?
    In der Finsternis versuchte ich, etwas zu erkennen: zwei Schatten neben der Tür, die sich leise unterhielten.
    »Ich will mit ihr reden.«
    »Das halte ich nicht für …«
    »Menandros, ich dulde dich in diesem Haus … Lass mich gefälligst ausreden! … Ich sagte: Ich dulde dich in diesem Haus, denn Celestina liegt sehr viel an eurer Freundschaft. Aber ich warne dich: Wenn du noch einmal versuchst, uns zu trennen, sorge ich dafür, dass du mit dem nächsten Schiff nach Griechenland segelst – ins Athos-Kloster.«
    Menandros schwieg betroffen.
    »Und jetzt lass mich zu ihr!«, herrschte ihn der andere an, packte Menandros ungeduldig an den Schultern und schob ihn auf die Seite, um sich neben mich auf das Bett zu setzen.
    Er strich mir die Haare aus der Stirn. Dann küsste er mich so sanft wie damals, als ich vor fünf Jahren todkrank in diesem Bett gelegen hatte und er sich hingebungsvoll um mich kümmerte.
    »Mein Schatz, endlich habe ich dich wieder!«
    »Tristan«, hauchte ich und umarmte ihn.
    »Wie geht es dir? Menandros sagt, du hättest letzte Nacht stundenlang geweint, als Elija dich verlassen hat.«
    Eine Seele in zwei Körpern – das waren wir!, wollte ich in meinem Schmerz hinausschreien. Meine Seele ist mir fortgerissen, und mein Herz blutet. Ich stürze haltlos in den Abgrund, in die finstere Leere in mir selbst, in die Traurigkeit und in die Sehnsucht nach ihm, dem besten aller Menschen.
    »Ich fühle mich … schon viel besser«, log ich, um Tristan nicht noch mehr wehzutun. »Ich bin so froh, dass Menandros dich gebeten hat zu kommen …«
    »Das hat er nicht getan.«
    »Woher weißt du denn …?«
    »Elija war vor einer Stunde bei mir. Sein Bruder David hat ihn begleitet. Danach bin ich sofort zu dir geeilt.«
    »Er war bei dir?«
    »Er bat mich um Vergebung«, nickte Tristan. »Seine Worte haben mich sehr berührt. Elija gestand mir, er wäre in seinem Leben noch nie so glücklich gewesen wie mit dir. Du wärst das Licht in seinem dunklen Leben gewesen, seine Hoffnung und sein Glück. Er war so traurig und so hoffnungslos, als er mir beim Abschied sagte: ›Tristan, liebe sie so sehr du kannst. Und mach sie glücklich!‹«
    »Hast du ihm vergeben?«
    Tristan nickte. »Und dann sagte er noch etwas, das ich nicht verstanden habe.«
    »Was?«,

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