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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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erkannte?
    Das Licht verschwand.
    Schließlich öffnete er die Haustür.
    »Was willst du?«, flüsterte er.
    »Ich muss mit Elija sprechen«, erwiderte ich und wollte an ihm vorbei ins Haus huschen. Aber David hielt mich am Arm fest.
    »Er will nicht mit dir reden, Celestina.« David wusste nicht, wie er sich mir gegenüber verhalten sollte. Er wandte den Blick ab.
    »Elija war heute Abend bei Tristan. Wie geht es ihm?«
    »Was glaubst du wohl, wie es ihm geht?«, fragte David verbittert. »Du hast ihn sehr verletzt.«
    Als David im Kerzenschein mein Gesicht sah, mäßigte er seinen Ton:
    »Elija hat die Nacht in der Synagoge verbracht. In seiner Verzweiflung hat er mit Gott gerungen – wie so oft in den hoffnungslosen Jahren seit Sarahs Tod … seit er selbst um ein Haar in den Flammen des Scheiterhaufens gestorben wäre. Als ich heute Früh zum Morgengebet in die Synagoge ging, lag er auf dem Boden vor dem Tora-Schrein.
    Ich habe ihn ins Bett gebracht. Elija hat den ganzen Tag weder gegessen noch getrunken. Es ist, als ob sein Lebenswille mit Gewalt aus ihm herausgerissen wurde. Er ist so still und in sich gekehrt, so verzweifelt wie in jenen traurigen Jahren nach Sarahs Tod, bevor er dich kennen lernte und du ihn zum Leben erweckt hast.«
    »Ich will mit ihm reden, David! Lass mich zu ihm!«
    »Er ist nicht hier.«
    Seine Worte trafen mich wie eine Faust. »Wo ist er?«
    »Celestina, ich bitte dich«, flehte er mich an. »Quäle ihn doch nicht! Er leidet so sehr!«

    Wo war Elija? David hatte ihn zur Ca’ Venier gerudert, wo Elija Tristan um Vergebung angefleht hatte. Dann war er allein nach Hause zurückgekehrt.
    Ich ahnte, wo ich Elija finden würde: bei seinem Freund, der ihn wie kein anderer verstehen würde. Jakob hatte während der Judenverfolgung in Köln seine Frau verloren.
    Atemlos hastete ich zurück zur Ca’ Tron und vergewisserte mich, dass Tristan noch nicht zurückgekehrt war. Dann stieg ich in die Gondel und ruderte den Canalazzo entlang in Richtung Hafen. Der Rio di San Vio und der Rio di San Gervasio waren nachts mit Ketten gesperrt, und ich musste zwischen den im Bacino di San Marco ankernden Schiffen hindurchfahren.
    Mitten in der Nacht war es im Hafen lebensgefährlich. Und so blieb mir fast das Herz stehen, als ich ein plätscherndes Geräusch hörte. Ein Boot, nur wenige Ruderschläge entfernt. Zwei Männer!
    Waren sie Signori di Notte? Oder betrunkene Matrosen, die nach einem nächtlichen Gelage auf ihre Schiffe zurückkehrten?
    Hastig zog ich das Ruder aus den Wellen, damit kein Geräusch mich verriet. Das Holz der Gondel knarzte, als ich mich duckte, um nicht entdeckt zu werden.
    Mit angehaltenem Atem wartete ich, bis das andere Boot in Richtung San Marco vorbeigefahren war. Dann steuerte ich die Gondel zwischen den Segelschiffen hindurch und bog in den Canale della Giudecca ein, um zu Jakobs Haus hinüberzurudern.
    Als ich die Insel Giudecca erreichte und die Gondel festmachte, dämmerte es bereits. Ich sprang auf den Bootssteg, lief zum Haus und klopfte.
    Jakob schien auf jemanden gewartet zu haben, denn er öffnete sofort. Als er mich erkannte, hätte er vor Schreck beinahe die Kerze fallen gelassen. »Celestina? Was tust du denn hier so früh am Morgen?«
    »Ich muss mit Elija sprechen. Ist er bei dir?«
    »Nein«, sagte er zögernd. »Nicht mehr.«
    Elijas Liebe zu mir, die alle Gebote brach, war Jakob, dem streng orthodoxen Rabbi, stets ein Dorn im Auge gewesen. Aber er hatte geschwiegen und uns gewähren lassen, weil er sah, wie glücklich Elija und ich miteinander waren.
    Jakob blickte mich mitfühlend an. »Elija war die ganze Nacht hier. Wir haben stundenlang geredet. Vor ein paar Minuten ist er nach Hause zurückgekehrt, um ein wenig zu schlafen. Er ist völlig erschöpft. Yehiel rudert ihn gerade hinüber zum Molo.«
    Elija war in dem Boot gewesen!
    Jakob leuchtete mir ins Gesicht. »Du bist blass. Willst du dich einen Augenblick setzen? Wenn Yehiel zurückkehrt, kann er dich nach Hause bringen. Komm doch herein …«
    »Nein danke, Jakob.«
    Ich wollte mich schon abwenden, als er mich aufhielt. »Lass ihn in Ruhe, ich bitte dich! Er hat sich Gott geweiht.«
    »Was heißt das?«, fragte ich mit schwacher Stimme.
    »Er hat das Gelübde abgelegt – wie damals, als Sarah starb. David war darüber so betroffen, dass auch er den Schwur gelei…«
    »Welchen Schwur, Jakob?«
    »Das Gelübde des Nazirats. Elija ist ein Nazoräer, ein Wahrer des Gesetzes – und wie Jeschua und

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