Die Evangelistin
War die wundervolle Zeit mit Elija nur eine zum Scheitern verurteilte Affäre gewesen? Stürmische Leidenschaft und ekstatische Lust? Verliebtheit in das, was wir in den Augen des anderen zu erkennen glauben – uns selbst?
Nein, da war mehr gewesen.
Glückseligkeit.
Erfüllung.
Wie ich mich nach ihm sehnte!
Durch die sumpfige Po-Ebene ritten Tristan und ich am nächsten Morgen nach Comacchio in der Nähe des Meeres. Die stillen Kanäle der Stadt, in denen sich ganz zauberhaft die bunten Häuser spiegelten, erinnerten mich ein wenig an Murano.
Im Hafen bestiegen wir ein Schiff, das uns nach Venedig bringen sollte. Am Delta des Po entlang segelten wir nach Norden, erreichten Chioggia in der Laguna Veneta und legten schließlich im Hafen von Venedig an.
Ich war froh, als ich endlich wieder festen Boden unter meinen Füßen spürte. Auf dem Schiff war ich seekrank geworden und hatte mich mehrmals übergeben. Tristan hatte sich sehr taktvoll um mich gekümmert.
Als wir bei Sonnenuntergang den Bootssteg der Ca’ Tron erreichten, umarmte er mich zum Abschied:
»Es fällt mir so schwer, dich heute Abend zu verlassen. Die letzten Tage mit dir waren unbeschreiblich schön. Wie gern würde ich alle meine Tage und Nächte mit dir verbringen!« Während er zärtlich seine Nase an meiner Wange rieb, spielte er mit dem Ring an meinem Finger. »Ich wäre sehr glücklich, wenn du in den nächsten Tagen zu mir in die Ca’ Venier ziehen würdest.«
Ehrlich gesagt: Ich hatte Angst.
Aber ich hatte es Elija versprochen!
Und so machte ich mich am nächsten Morgen nach einer durchwachten Nacht auf den Weg zum Palazzo Grimani, wo der Prokurator mich sehr freundlich empfing. Das Buch über Megas Alexandros hatte Antonio Grimani mit Feuereifer verschlungen. Wann ich wohl das Buch meines Vaters vollenden würde? Und ich antwortete: Schon in den nächsten Wochen. Mit leuchtenden Augen bat er mich um eine Abschrift.
Beim Abschied überreichte ich ihm den versiegelten Umschlag mit den Papieren, die ich während der Nacht geschrieben hatte, und bat Antonio Grimani, ihn in seinem Tesoro sicher für mich zu verwahren. Er wog den schweren Umschlag in seiner Hand: Ein neues Manuskript? Da ich ihn nicht anlügen wollte, lächelte ich nur rätselhaft.
Nach dem Besuch im Palazzo Grimani ritt ich zur Residenz des Patriarchen neben der Kathedrale San Pietro in Castello.
Antonio Contarini war überrascht, als sein Sekretär mich in sein Studierzimmer geleitete. Als ich in dem bequemen Sessel vor seinem Schreibtisch Platz genommen hatte, fragte er mich, ob Tristan Venier und ich uns entschlossen hätten zu heiraten. Während ich mich beunruhigt fragte, woher der Patriarch von unserer Liebe wusste, redete er weiter: In San Marco? Mit dem Dogen als Trauzeugen? Und einem anschließenden Empfang im Palazzo Ducale? Das wäre für eine solch bedeutende Verbindung wie die der beiden mächtigsten Familien Venedigs nur angemessen! Ob mein Cousin, Kardinal Giulio de’ Medici, sein Kommen zugesagt hätte? Als Patriarch sei es ihm eine große Ehre, Tristan Venier und Celestina Tron selbst zu trauen!, versicherte er mir. Wann sollte die Hochzeit denn stattfinden?
Tristan und ich hätten uns noch nicht entschieden, erklärte ich. Sollten wir eines Tages heiraten, dann gewiss in San Marco.
Am Ende unseres Gespräches überreichte ich auch ihm einen versiegelten Umschlag und bat ihn, diesen für mich aufzubewahren.
Als er allzu neugierig das Siegel betrachtete, erklärte ich ihm, dass entweder ich die Dokumente in den nächsten Wochen wieder abholen würde, oder aber ein Gesandter des Vatikans, der auf Befehl Seiner Heiligkeit, Papst Leo, mit bewaffnetem Geleitschutz in Venedig erscheinen würde. Der Patriarch beeilte sich, den Umschlag höchstpersönlich in seinem Tesoro zu verschließen.
Ich war sicher, dass Antonio Contarini das Siegel nicht berühren würde, aus Angst, er könnte es zerbrechen.
Vom Palast des Patriarchen trabte ich die Riva degli Schiavoni entlang zurück nach San Marco. Tauben flatterten auf, als ich die Piazza überquerte und vor den Prokuratien aus dem Sattel sprang. Während ich die vorbereiteten Dokumente aus der Satteltasche holte, eilte ein Diener herbei, um mir die Zügel abzunehmen.
Ich trat ein, und der Majordomus nahm mir die Reitgerte ab.
»Ist er da?«, fragte ich ihn, während ich ihm die Handschuhe reichte, die Tristan mir in Padua gekauft hatte.
»In seinem Arbeitszimmer«, nickte er.
Als ich an ihm
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