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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Marietta und seiner Familie entscheiden müssen und es nicht über sich gebracht, unseren Vater, unsere Herkunft und unseren Glauben zu verraten.
    Und trotzdem war Aron wie jeder andere Mensch erfüllt von der tiefen Sehnsucht nach Geborgenheit in den Armen einer geliebten Frau – nach Freude, Glückseligkeit und Frieden. Doch der Friede schien für immer verloren.
    Wie ich quälte sich auch Aron wegen der Angriffe der Christen auf die Juden – an denen wir beide wegen unserer Liebe zu Christinnen schuld waren.
    In den letzten Wochen hatten die Franziskaner, allen voran der spanische Mönch Fray Santángel, die Christen gegen die ›Christusmörder‹ und ›die von Gott verdammten Juden‹ aufgehetzt. Immer wieder war es zu blutigen Ausschreitungen gekommen. In Arons neuem Kontor war Feuer gelegt worden, nachdem Fray Santángel mit Donnerstimme auf dem Campo di San Polo verkündet hatte, Aron hätte für einen Kredit an einen Christen einen goldenen Crucifixus als Sicherheit verlangt – und den Gekreuzigten dann angespuckt. Wie verbittert Aron, der Jeschua verehrte, über die Hasstiraden des Franziskaners war!
    Doch nicht nur auf Aron und David, sondern vor allem auf mich hatte es Fray Santángel seit meiner Rückkehr aus Rom abgesehen. Stundenlang stand er vor der Ca’ Tron und hielt seine Hetzpredigten gegen mich auf dem Campo San Stefano. Er folgte mir, wenn ich das Haus verließ. Er trat mir in den Weg, sodass ich ihm immer wieder ausweichen musste. Er beschimpfte mich, spuckte mich an und bewarf mich mit Dreck.
    Wieso provozierte mich der Mönch? Wollte er, dass ich die Beherrschung verlor und auf ihn losging?
    Tristan hatte diskret Erkundigungen über den geheimnisvollen Frater aus Spanien eingeholt, der vor Monaten an einigen meiner Lehrstunden für Humanisten teilgenommen und seit Wochen vor Arons Kontor gepredigt hatte. Dann war er wochenlang verschwunden gewesen.
    Als Tristan mir vor einigen Tagen beim Abendessen berichtet hatte, Fray Santángel sei von Toledo nach Venedig gekommen, war ich entsetzt. Kardinal Cisneros war Erzbischof von Toledo! War der Frater der geheimnisvolle Attentäter, der Aron fast ermordet hätte?
    Mit weit ausholenden Ruderschlägen fuhr ich den Canale della Giudecca entlang in Richtung San Giorgio Maggiore. Als ich den Bootssteg vor Jakobs Haus erreichte, band ich die Gondel fest und sprang an Land.
    Bis zur aschkenasischen Synagoge war es nicht weit. Ich stieß das schwere Tor auf, das im Notfall einem Angriff der Gojim standhalten konnte, und stieg die Treppen hinauf zum Gebetssaal.
    Mit dem Tallit um die Schultern saß Jakob auf seinem angestammten Platz in der Nähe der Kanzel und blätterte mit der linken Hand in seinem Gebetbuch.
    »Schalom, Jakob!«, begrüßte ich ihn.
    Die Gläubigen musterten mich. Sie wussten, wer ich war. Elija ha-Nozri, so nannten sie mich – Asher Meshullam hatte es mir erzählt. Elija der Nazoräer. Elija der Christ. Der vom rechten Weg Abgekommene. Der Verirrte.
    Jakob sprang auf, um mich zu begrüßen. »Schalom!«
    Er umarmte mich nicht – glaubte er, Häresie sei eine ansteckende Krankheit?
    »Warum bist du gekommen?«, fragte er mit einem beunruhigten Seitenblick auf die Gläubigen, die uns nicht aus den Augen ließen. Die Gespräche in der Synagoge waren verstummt – niemand wollte sich auch nur ein Wort entgehen lassen.
    »Ich bin gekommen, weil du mein Freund bist, Jakob. Und weil ich wissen will, ob ich noch der deine bin.« Ich legte ihm die Hand auf die Schulter.
    Dann wandte ich mich ab und ging zu einem der freien Plätze in der letzten Reihe. Auf dem Sitz neben mir lag ein aschkenasisches Gebetbuch, in dem ich blätterte, um den ersten Schabbat-Psalm zu finden. Ich wollte Jakob die Möglichkeit geben, eine Entscheidung zu treffen.
    Einen Herzschlag lang stand er unentschlossen vor seinem Sitz, presste seinen Siddur an die Brust und starrte auf den goldgeschmückten Tora-Schrein. Dann murmelte er etwas auf Deutsch, das wie »Verdammt!« klang, wandte sich um und ließ sich neben mich auf den freien Sitz sinken.
    Unwilliges Gemurmel in der Synagoge. Verächtliche Blicke. War Rabbi Jakob ben Israel Silberstern etwa auch ein Abtrünniger?
    »Mein Gott, wie musst du dich fühlen, Elija!«, seufzte Jakob schließlich, als er die Blicke der Gemeinde nicht mehr ertrug. »Asher Meshullam hat mir gestern erzählt, dass du seit deiner Rückkehr aus Rom in der Synagoge nicht mehr zur Lesung des Wochenabschnittes aus der Tora aufgerufen

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