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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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still!«
    Meine Hand umfasste die Merkfäden meines Tallit Katan, den ich unter dem Seidenhemd trug. Beinahe hätte ich sie abgerissen.
    Ich fing einen traurigen Blick von Menandros auf. Er wusste genau, wie ich mich fühlte!
    Aron stellte ein Tintenfass neben das Dokument, das ich unterschreiben sollte, und reichte mir eine Schreibfeder. »Bitte, Elija, ich flehe dich an …«
    Als ich die Feder nicht ergriff, tauchte er die Spitze in das Tintenfass und drückte sie mir in die Hand. »Wir könnten alle nach Rom gehen und dort in Frieden leben, Elija. Ich könnte in Rom eine Bank eröffnen und meine Geschäfte fortführen. David könnte an der Universität von Rom Medizin lehren, wie er es so gern an der Sorbonne in Paris getan hätte. Du weißt, dass du ihm das nach jener Nacht in Paris schuldig bist.«
    Seine Worte fügten mir Schmerzen zu, und meine Finger verkampften sich um den Federkiel. Die Hand zitterte, und ein Tropfen Tinte fiel auf das Papier. Wollte Aron unserem Bruder erzählen, was in jener Nacht geschehen war?
    »Aron, um Himmels willen, hör auf ihn so zu quälen!«, rief David entsetzt. »Du bist ja schlimmer als ein Folterknecht der Inquisición!«
    Traurig sah ich meine Liebsten an. Was tat ich ihnen nur an? Ich ließ die Feder fallen und barg mein Gesicht in den Händen.
    Was soll ich tun, Adonai, schrie ich verzweifelt in mich hinein. Was soll ich denn tun?
    Schließlich nahm ich die Hände vom Gesicht.
    Alle Blicke waren auf mich gerichtet.
    »Ich kann meine Herkunft nicht verleugnen«, sagte ich leise. »Und ich kann meinen Glauben nicht aufgeben.«
    Mit erhobenen Fäusten ging Aron auf mich los: »Du willst uns alle zu Märtyrern machen, du verdammter …«
    David hielt ihn an den Schultern fest, bevor er sich auf mich stürzen konnte. »Aron, erhebe nicht die Hand gegen deinen Bruder! Du weißt, welche Opfer Elija gebracht hat, damit wir alle als Juden leben können.«
    »Und jedes Gebot hat er dabei gebrochen!« Aron riss sich von David los.
    »Aron, du bist ungerecht!«, versuchte unser Bruder ihn zu besänftigen – vergeblich.
    » Du verteidigst ihn, David?«, brüllte Aron in seinem rasenden Zorn. »Ausgerechnet du, dem er am meisten von uns allen wehgetan hat?«
    »Ich verstehe nicht …«
    »In Paris hat Elija deine Ehe gebrochen, David. In jener Nacht, als ihr gestritten hattet, hat er mit Judith geschlafen. Ich lag wach neben ihnen im Bett.«
    David schwankte und hielt sich an einer Stuhllehne fest. »Ist das wahr?«, fragte er mich leise.
    Mein Gott, diese Scham!
    Ich nickte stumm.
    »David, vergib ihm!«, rief Judith verzweifelt. »Es ist allein meine Schuld. Elija war so traurig, als ihr an jenem Abend gestritten hattet, weil er Paris verlassen wollte und du nicht. Ich bin zu ihm gegangen, um ihn zu trösten und da haben wir … da habe ich …« Sie konnte nicht weitersprechen.
    Wie tief verletzt David war!
    Ich sah ihn an, doch er wandte sich ab.
    Erinnerte er sich an die begehrlichen Blicke, die er Celestina zugeworfen hatte? Dachte er daran, wie sehr er Judith mit seinem sehnsüchtigen Verlangen wehgetan hatte?
    Er rang mit sich, das sah ich ihm an.
    Doch schließlich drehte er sich zu mir um und sagte leise: »Ich vergebe dir, Elija.«
    Menandros atmete auf – der Streit meiner Brüder hatte ihn zutiefst erschüttert. Mitfühlend blickte er mich an.
    Seine innige Freundschaft bedeutete mir sehr viel.
    »David, Aron«, begann ich. »Ich weiß, dass ihr mich verfluchen werdet … dass ihr mich vielleicht sogar hassen werdet, aber ich kann meinen Glauben nicht aufgeben, nur um in Rom meinen Frieden zu finden. Denn in meinem Gewissen würde es keinen Frieden geben, solange ich lebe und Gott um Verzeihung anflehe.«
    Mit einem zornigen Schrei stürzte Aron aus dem Raum.
    Marietta schlug sich die Hand vor die bebenden Lippen und warf Angelo einen verzweifelten Blick zu. »Ich habe geschworen, Aron zu lieben, in den Zeiten des Glücks und in den Zeiten des Leids – nur der Tod kann uns trennen!«, rief sie. »Eure Unnachgiebigkeit vermag das nicht!«
    Sie riss sich die Kette mit dem rubinbesetzten Kreuz ab und warf sie ihrem Bruder vor die Füße. Dann drehte sie sich schluchzend um, folgte Aron und schlug die Tür des Speisesaals hinter sich zu.
    Betretenes Schweigen.
    Angelo hob das goldene Kreuz auf und küsste es.
    Dann fiel auch die Haustür ins Schloss.
    »Mein Gott!«, rief ich entsetzt und sprang auf. »Aron und Marietta haben das Haus verlassen! Sie können an einem

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