Die Evangelistin
doch, dass dieses Nein für immer zwischen ihm und seiner Schwester Marietta stehen würde.
Der Erzbischof war am Mittag des 2. Dezember in Venedig eingetroffen, am ersten Tag des Lichterfestes Chanukka. Als päpstlicher Sekretär hatte er Gianni bis Bologna begleitet, wo am 11. Dezember die Friedensverhandlungen mit König François beginnen sollten.
Chanukka ist eine Zeit der Freude. Doch an diesem Abend, als die erste und die zweite der acht Kerzen im Chanukka-Leuchter mit dem Schamasch-Licht entzündet worden waren, sollte keine festliche Stimmung aufkommen.
Die Lichter tauchten den festlich geschmückten Raum in ein goldenes Licht. Der Tisch war schön gedeckt, das Tafelsilber glänzte, die Gläser funkelten. Das ganze Haus duftete nach einem herrlichen Festmahl.
Es hätte ein so schönes Lichterfest werden können!, dachte ich traurig. Eine Zeit des Friedens ohne Bedrohung durch die Verfolgung, eine Zeit der Besinnung ohne Besorgnis wegen des angedrohten Cherem-Banns. Eine kleine paradiesische Insel im stürmischen Meer von Hass und Gewalt.
Menandros, der zwischen Celestina und Judith an der festlich gedeckten Tafel saß, blickte mich mitfühlend an. Wie er sich gefreut hatte, als ich ihn fragte, ob er Chanukka mit uns feiern wolle. Er sollte nicht allein zu Hause in der Ca’ Tron bleiben. Und nun …
»Nein!«, wiederholte Angelo und sah dieses Mal nicht Aron, sondern mich an. »Ich kann dieser Heirat nicht zustimmen. Ich darf es nicht.«
Celestina ergriff meine Hand. Sie wusste, wie sehr ich litt.
Aron war nach Angelos Rede so unbeherrscht aufgesprungen, dass sein Stuhl umgestürzt war. Er floh zum Fenster und barg das Gesicht in beiden Händen. Seine Schultern zuckten.
Mit gesenktem Blick erhob sich Marietta und ging zu ihm hinüber, umarmte ihn und flüsterte tröstende Worte.
Wie sehr Aron sich nach Liebe und Geborgenheit sehnte – wie ich! Wie sehr er sich nach einem Ort sehnte, wo er nur er selbst sein konnte, nicht Aron, der Jude, nicht Fernando, der Christ, sondern einfach nur er selbst: ein Mensch! Als er mir vor einem halben Jahr seine Liebe zu Marietta gestanden hatte, war ich über seinen verzweifelten Aufschrei betroffen gewesen. Wie viele Opfer hatten wir gebracht, um in Venedig als Juden leben zu können. Und nun? Wenn ich ehrlich zu mir war: Empfand ich nicht tief in meinem Herzen dieselbe Sehnsucht, als Mensch geliebt zu werden?
Davids Blick irrte zwischen Angelo an dem einen Ende der Tafel und mir am anderen hin und her. Arons Verzweiflung tat ihm in der Seele weh.
»Versteh mich nicht falsch, Aron!«, versuchte Angelo die Situation zu retten. »Ich bewundere dich als frommen Juden, der das Naziratsgelübde abgelegt hat. Ich schätze dich als überaus fähigen Geschäftsmann und Bankier. Ich achte dich als Mensch. Wie gern würde ich Marietta und dich in San Marco nach christlichem Ritus trauen … O Gott, wie soll ich dir das erklären, Aron? Es ist …« Er senkte den Blick. »Es ist wegen Elija.«
Seine Worte trafen mich wie ein Faustschlag ins Gesicht.
Ich war schuld, dass Aron und Marietta nicht heiraten konnten?
Adonai, lass das nicht wahr sein!
David und Judith senkten die Blicke.
»Wegen Elija?«, fragte Aron ungläubig.
»Ich bin Erzbischof und Vertrauter des Papstes!«, entrang sich Angelo. »Ich kann nicht zulassen, dass ein exkommunizierter Converso, der durch die spanische Inquisition zum Tode verurteilt wurde, der in Venedig als Jude lebt und ein höchst gefährliches Buch schreibt, das meinem christlichen Glauben widerspricht, und den selbst die Juden als Häretiker verdammen, mein Schwager wird!«
»Adonai, tu uns das nicht an!«, rief David verzweifelt. »Alles, nur das nicht!« Er sprang auf und wandte sich ab.
Aron, der sich zwischen Marietta und mir entscheiden musste, starrte mich zornig an. In seiner Ohnmacht hatte er seine Fäuste geballt, und ich dachte: Gleich geht er auf mich los!
Unsere Familie, die Hass, Gewalt und Verfolgung überstanden hat, zerbricht nun an der Liebe!, dachte ich. Ist es denn nicht einmal möglich, das Königreich der Himmel, das ersehnte Reich des Friedens, der Freiheit und der Liebe, in unserer eigenen Familie zu erschaffen?
Angelo sah mir in die Augen. »Es tut mir Leid, Elija. Aber ich kann nicht anders handeln«, sagte er traurig. »Als Jude bewundere ich dich für deine Chuzpa, Kardinal Cisneros und seine spanischen Inquisitoren in die Knie gezwungen zu haben.
Als Erzbischof liegt mir das Wohl der Juden sehr am
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