Die Evangelistin
hatte Hernán de Talavera mir in seiner Todesstunde gewünscht. Geh mit Gott, Juan, und Er wird mit dir gehen.
Da wandte ich mich um und sprang.
Das eiskalte Wasser des Canal Grande raubte mir den Atem. Prustend tauchte ich auf und schwamm zum anderen Ufer.
»Dieser gottverfluchte Jude!«, schrie Fray Santángel, als er keuchend den Traghetto erreichte. »Folgt ihm mit der Gondel!«
Mit zornig geballten Fäusten sah er mir nach, bis ich mich am Bootssteg des Traghetto San Benedetto an Land zog.
»Du wirst brennen – das schwöre ich dir!«, brüllte er über den Kanal. Es war ihm gleichgültig, wer ihn hörte.
Erschöpft lag ich ein paar keuchende Atemzüge lang auf dem Boden. Schließlich erhob ich mich zitternd und frierend. Die Kälte schmerzte in meinen Gliedern! Mein vom Rudern und Laufen erhitzter Körper dampfte in der eisig kalten Winterluft.
»Kehr zurück in die Hölle, Santángel!«, rief ich zu ihm hinüber. »Und wenn du im tiefsten Inferno Satan triffst, dann sag ›El Cardenal‹, dass er mich lebendig nicht bekommen wird! Nicht Satan, sondern Gott wird am Ende über mich richten!«
Santángel tobte vor Zorn.
In diesem Augenblick schoss die Gondel mit den Bewaffneten aus dem Rio della Madonnetta und steuerte quer über den Kanal direkt auf mich zu!
Wo war die andere Gondel?
Dann sah ich sie: Sie steuerte den Canal Grande entlang nach Süden, um mir den Weg zur Ca’ Tron abzuschneiden.
Mit einem letzten Blick auf Fray Santángel wandte ich mich um und hastete zum Campo San Benedetto, dann weiter durch das Labyrinth der Gassen, bis ich auf die enge Calle stieß, wo vor einem halben Jahr die Asesinos Celestina angegriffen hatten.
Über den Campo San Angelo huschte ich zur Kirche San Stefano. Keuchend drückte ich mich gegen die Backsteinfassade der Augustinerkirche und spähte um die Ecke.
Alles war ruhig.
Der Campo San Stefano lag verlassen vor mir.
War ich schneller gewesen als die zweite Gondel? Oder warteten die Bewaffneten mit gezückten Degen im Garten der Ca’ Tron auf mich?
Da rannte ich los, hastete quer über den Platz zum Gartentor des Palacio, riss das Gitter auf, stolperte zum Portal und hämmerte mit beiden Fäusten dagegen.
Menandros öffnete mir.
»Um Himmels willen«, entfuhr es ihm, als er mich im Schein der Kerzen erkannte – tropfnass, frierend und erschöpft. Er zog mich ins Haus, schloss die Tür hinter mir und verriegelte sie.
Dann fing er mich auf und half mir, mich auf die Stufen zu setzen.
»Alexia!«, brüllte er die Treppe hinauf. »Richte ein heißes Bad für Elija! Aviram, mach Feuer im Schlafzimmer, und hilf Alexia dann mit dem Wasser! Und hole sämtliche Decken, die du finden kannst. Elija muss es im Bett warm haben.«
Mit wehenden Röcken flog Celestina die Stufen herab, kniete sich vor mich auf den Boden und umarmte mich. »Mein Liebster, bist du verletzt?«
»Es geht mir gut«, beruhigte ich sie mit heiserer Stimme, während Menandros an mir herumzerrte, um mir aus den nassen Sachen zu helfen. Ich zitterte vor Kälte.
»Was ist geschehen?« Sie strich mir über das nasse Haar.
»Fray Santángel wollte mich nach Córdoba entführen. Mein Scheiterhaufen vor der Mezquita ist offenbar schon aufgerichtet. Und Kardinal Cisneros erwartet mich mit der brennenden Fackel in der Hand …«
Tagelang wagte ich mich nicht aus dem Haus, obwohl Fray Santángel sich nicht blicken ließ.
Fürchtete er, ich würde ihn wegen versuchten Mordes vor dem Consiglio dei Dieci anklagen?
Warum hatte der Mönch nicht schon früher versucht, mich nach Córdoba zu entführen? Hatte er wegen meiner Freundschaft zu Tristan abgewartet, wegen meiner Bekanntschaft mit Kardinal Domenico Grimani und seinem Vater, dem Prokurator Antonio Grimani, wegen meiner Vertrautheit mit dem Dogen von Venedig? Als ich nach Rom geflohen war, hatte er mich aus den Augen verloren. Doch nun war ich zurück! Exkommuniziert und von Christen und Juden als Häretiker verdammt!
»Du wirst brennen!«, hatte der Inquisitor Fray Santángel geschworen, als ich ihm entkommen war.
Tristan war zutiefst entsetzt über den Anschlag und ließ den Franziskanermönch durch die Geheimpolizei des Consiglio im Konvent der Frari-Kirche und in den Gassen von Venedig suchen – vergeblich! Der Santángel, der zum Todesengel geworden war, blieb verschwunden.
Ich ahnte, dass ich ihn erst in der Todesstunde wiedersehen würde …
»Nein, Aron!«
Angelo hatte sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, wusste er
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