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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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dem Campo San Stefano?«
    »Bis zum Knie.«
    »Die Piazza San Marco ist der tiefste Punkt der Stadt. Wenn schon der Campo San Stefano knietief unter Wasser steht, dann … Um Himmels willen!«
    Elija war in Gefahr! Das eisige Wasser würde in die Gefängniszellen strömen. Eine Weile konnte Elija sich auf der Holzpritsche im Trockenen halten, doch wenn die Fluten weiter stiegen, war das unmöglich. Schon seit Tagen war er krank! Wenn er stundenlang im eisigen Wasser stehen würde …
    Nein, daran wollte ich nicht denken!
    Die Wächter des Dogenpalastes würden so schnell wie möglich nach Hause eilen, um ihre eigenen Häuser zu sichern, bevor das hereinströmende Wasser größere Schäden anrichtete. Würde irgendjemand den Gefangenen Elija Ibn Daud aus seiner Zelle befreien, in der das Wasser immer höher stieg? Wohl kaum.
    Ich musste Elija retten!
    »Alexia, hilf mir beim Anziehen!«, bat ich sie. »Hemd, Hose, Jacke und die langen Reitstiefel.«
    Sie ahnte, was ich vorhatte. »Aber das ist Wahnsinn! Das Kind könnte …«
    »Bis zur Geburt sind es noch ein paar Wochen! Tu, was ich dir sage, Alexia! Wir rudern zum Dogenpalast, um Elija aus dem Gefängnis zu befreien.«
    Sie half mir in die viel zu enge Hose und die blaue Jacke, die meinem Vater gehört hatte. Dann eilten wir die Treppen hinunter ins überflutete Erdgeschoss. Durch das Tor zum Canal Grande strömte das Wasser herein und ergoss sich in den weiten Raum zu Füßen der Treppe. Die ersten drei Stufen standen bereits unter Wasser.
    Langsam wateten wir zum Portal.
    Gott sei Dank: Die Gondel war noch da!
    Alexia half mir ins Boot. Dann kletterte sie mir nach, machte das Seil los und griff zum Ruder. Mit weit ausholenden Schlägen steuerte sie die Gondel in die Mitte des Kanals und ruderte gegen die von der Lagune hereinströmende Sturmflut an.
    Innerhalb weniger Augenblicke hatte der niederprasselnde Regen uns bis auf die Haut durchnässt. Zitternd und frierend – es war Mitte Januar! – saß ich in der Gondel, schlang die Arme um meine Knie und versuchte an etwas anderes zu denken, als an die Schmerzen in meinem Bauch.
    Netanja, sei ganz ruhig! Alles wird gut!
    Die eisigen Regentropfen rannen mir über die Stirn und tropften in meine Augen.
    Durch die gischtigen Wellen steuerte Alexia die Gondel zur Piazzetta. Am Molo bog sie links ab und ruderte an den beiden Säulen vorbei über den kleinen Platz zur Porta della Carta.
    Der Sturm peitschte die Wogen gegen die Arkaden des Palazzo Ducale und den Portico der Basilica di San Marco.
    Alexia band die Gondel an einer Säule fest und sprang ins tiefe Wasser, das mit der Flut in Richtung des Uhrturms rauschte. Dann streckte sie beide Hände aus, um mir zu helfen. Aber wie sollte ich die Gondel verlassen?
    Ich musste springen!
    Ein stechender Schmerz durchzuckte meinen Leib.
    Netanja, mein kleiner Prinz! Sei ganz ruhig!
    Ich presste die Hände auf meinen Bauch und rang nach Atem. Der niederrauschende Regen lief mir über das Gesicht, die Wellen schwappten um meine Schenkel, und das eisige Wasser floss in meine Stiefel.
    Alexia ergriff meine Hand und zog mich zur weit geöffneten Porta della Carta. Kein Wächter! Waren die Männer nach Hause geeilt, um ihre Häuser abzudichten?
    Arm in Arm wateten wir durch das Tor in den Innenhof, wo uns das Wasser bis zur Hüfte reichte.
    Das Gehen durch das tiefe Wasser war so anstrengend! Ich blieb einen Augenblick stehen. Dann schleppte ich mich keuchend weiter. Ein furchtbarer Schmerz ließ mich erneut innehalten.
    »Was ist?«, fragte Alexia und sah mir ins Gesicht. »Um Himmels willen! Doch nicht …«
    »Es geht los! Das sind die Wehen«, presste ich hervor. »Netanja hat sich auf den Weg gemacht.«
    »O nein!«
    Dann presste ich beide Hände auf meinen Bauch und kämpfte mich weiter durch den Regen und die eisigen Fluten hinüber zu den Pozzi.
    Die Tür zu Elijas Zelle stand weit offen!
    Die Zelle war leer!
    Das Wasser schwappte bereits über die Holzpritsche, und Elijas Decken trieben auf den Wellen.
    Mein Fuß stieß gegen einen Gegenstand im Wasser. Ich bückte mich und hob ihn auf. Ein Buch! Die Seiten waren völlig aufgeweicht, die Tinte war kaum noch leserlich. Aber ich wusste, es war Ibn Shapruts Prüfstein !
    Ich presste das nasse Buch an meine Brust.
    Wo war Elija?
    Eine neue Wehe ließ mich aufstöhnen.
    Alexia zog mich aus der leeren Zelle auf den Hof. Erschöpft lehnte ich mich gegen eine Säule.
    »Ich werde die Gondel holen!« Alexia watete mit mir durch

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