Die Evangelistin
Menschenkind, geborgen in den Armen der Mutter!
Wie winzig es war, und wie zerknittert! Es schnaufte leise und presste das kleine Gesicht gegen meine Brust. Es spürte meine Körperwärme und lauschte auf den vertrauten Schlag meines Herzens.
David deckte uns beide zu, sobald er nach den Nachgeburtswehen die Nabelschnur durchtrennt hatte.
»Du und dein kleiner Prinz – ihr habt es geschafft!«, flüsterte er bewegt. »Elija wird sehr glücklich sein: Es ist tatsächlich ein kleiner Netanja – ein Gottesgeschenk!«
Wie schön es war, Elijas Kind in die Arme zu schließen, seine weiche Haut zu berühren, die zerbrechlichen Ärmchen und Beinchen zärtlich zu streicheln und die winzigen Finger zu betrachten! Welch ein vollendetes Kunstwerk so ein kleines Menschenkind ist! Vergessen waren die Schmerzen und die Angst! Eine Woge inniger, zärtlicher Liebe stieg in mir hoch, und ich weinte – aber es waren Tränen des Glücks.
Später half mir David, mich auf die Seite zu drehen und das Kind an meine Brust zu legen. Wie genussvoll, ja gierig es trank!
»Gerade erst hat du diese Welt betreten, kleiner Prinz. Und schon weißt du, wo es am schönsten ist!«, lächelte David verschmitzt und küsste seinen kleinen Neffen. Als seine Barthaare Netanja kitzelten, verzog er das Gesicht und schlug mit seinen kleinen Fäusten nach seinem Onkel.
Mit dem Finger strich ich vorsichtig über das winzige Gesicht, und Netanja kniff die Augen zusammen. Mit der offenen Hand berührte ich zart sein dunkles, seidiges Haar. Er hatte Elijas Augen.
Während Netanja genussvoll an meiner Brust nuckelte, schlief er immer wieder ein, wachte wieder auf, spitzte die Lippen, saugte schmatzend, dann schloss er wieder die Augen.
Und auch ich ließ mich in die Kissen zurücksinken und war bald vor Erschöpfung eingeschlafen.
»Sieh ihn dir an, David!«, flüsterte er stolz. »Ich hatte ganz vergessen, wie es ist, Vater zu sein!«
»Willst du dein Kind in den Arm nehmen?«, fragte David leise, um mich nicht zu wecken. Behutsam nahm er Netanja hoch, der neben mir im Bett lag.
Erstaunt schlug ich die Augen auf.
»Elija!«
Er hielt den schlafenden Netanja auf dem Arm, rieb seine Nase an der Wange des Kleinen und liebkoste ihn zärtlich. Dann setzte er sich mit dem Kind auf das Bett, beugte sich über mich und küsste mich. Er war ganz heiß vom Fieber. Aber sehr glücklich!
»Wie geht es dir?«, fragte er besorgt. »David hat mir erzählt, dass du durch die steigenden Fluten zum Dogenpalast gerudert bist, um mich aus meiner Zelle zu befreien.«
Ich nickte. »Mir geht es gut! Was ist geschehen, Elija? Du bist frei«, staunte ich.
Tristan trat hinter Elija und betrachtete unseren Sohn.
»Das Tribunal hat Elija heute Morgen vom Vorwurf der Ketzerei freigesprochen«, erklärte Tristan – die Erleichterung über den Ausgang des Prozesses war ihm anzusehen. »Die Inquisitoren haben sich glücklicherweise auf Venedigs Freiheit und Unabhängigkeit besonnen. Der Papst ist überall Papst, nur nicht in der Serenissima – hat Gianni dir das nicht selbst gesagt? Und Kardinal Cisneros ist Großinquisitor im Königreich Kastilien, nicht aber in der Republik San Marco.
Das Inquisitionstribunal wie auch der Consiglio dei Dieci haben Elija, dessen Exkommunikation ja durch den Papst aufgehoben worden ist, von dem Verdacht der Häresie freigesprochen! Dein wundervolles Königreich der Himmel hat ihn gerettet! Gleich nach der Verhandlung heute Nacht wurde er freigelassen.
Elija ist ein freier Mensch!«
· E LIJA ·
K APITEL 18
In der rosenfarbenen Morgendämmerung des Schabbat stand ich an ihrem Bett. Celestina lag auf der Seite und hatte den Arm schützend um Netanja gelegt. Ihre Augen waren geschlossen, und ein zauberhaftes Lächeln lag auf ihren Lippen. Mutter und Kind schliefen fest.
Wie oft hatte der kleine Löwe sie heute Nacht geweckt, um von ihr gestillt zu werden?
León – der Löwe. Auf diesen Namen sollte unser Sohn in einigen Tagen getauft werden. Wir waren uns rasch einig gewesen. León de Santa Fé. Ein schöner und würdiger Name!
Aber für Celestina und mich würde dieses kleine Menschenkind immer nur Netanja bleiben, unser Gottesgeschenk.
Ich setzte mich auf den Rand des Bettes und küsste sie zart auf die Wange, doch sie wachte nicht auf. Dann strich ich meinem Sohn über das seidige Haar. Er verzog das Gesicht und machte mit den gespitzten Lippen ein schmatzendes Geräusch des Wohlbefindens.
Seufzend erhob ich mich, schlich aus
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