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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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verband?
    Sie steckte sich den Topasring, den sie ganz in Gedanken abgenommen hatte, wieder an den Finger.
    Was bedeutete ihr der Ring? Und was empfand sie für mich?
    David sah, dass ich zu aufgewühlt war, um weiterzusprechen, und ergriff das Wort:
    »Am 31. März 1492 unterzeichneten die Reyes Católicos das Ausweisungsedikt. Einen Monat später erfuhren wir, dass wir vertrieben werden sollten. Ich kann mich noch erinnern, wie unser Vater mit einer Mitschrift des vor der Synagoge verlesenen Ediktes nach Hause kam. Ich glaube …« David sah mich an, dann wandte er traurig den Blick ab. »Ich glaube, dass unser Vater in seinem tiefsten Inneren bereits in diesem Augenblick starb, nicht erst später, auf der Flucht. Es hatte ihm das Herz gebrochen.
    Als er von der Synagoge nach Hause kam, las er Elija, Aron und mir vor, was die Könige beschlossen hatten. Noch heute kann ich mich an jedes der Worte erinnern:
    ›Wir, die Könige, haben in unseren Königreichen die Inquisición eingeführt, die viele Schuldige der gerechten Strafe zugeführt hat. Es besteht kein Zweifel, dass der Umgang der Christen mit den Juden den allergrößten Schaden verursacht. Die Juden verführen die Conversos, die zum Christentum bekehrten und getauften Juden und ihre Kinder, indem sie ihnen jüdische Gebetbücher und zu Ostern ungesäuertes Brot geben, sie belehren, welche Speisen genossen werden dürfen und welche nicht, und sie überreden, Moses’ Gesetz zu befolgen. All dies hat die Unterwühlung und Erniedrigung unseres heiligen katholischen Glaubens zur Folge. So sind wir denn zu der Überzeugung gelangt, dass das wirksamste Mittel zur Bekämpfung all dieser Missstände die völlige Unterbindung jeden Umgangs zwischen Juden und Christen ist, die allein durch die Vertreibung der Juden aus unseren Königreichen erreicht werden kann.‹«
    David schwieg einen Augenblick.
    »Diese Worte … dieses Todesurteil für viele, diese Verurteilung zur Taufe oder zum Verlust der Heimat und des Besitzes für alle anderen, haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt. In den folgenden Tagen habe ich sie immer wieder rezitiert, wie ein Gebet.
    Du musst gehen und alles hinter dir zurücklassen, David. Du hast nicht getan, was man dir vorwirft, David, doch du musst gehen. Du trägst keine Schuld am Tod eines jüdischen Rabbi vor eintausendfünfhundert Jahren, David, doch du musst gehen. Du hast kein Gebot gebrochen, das Adonai dir gab, David, doch du musst gehen. Geh, David, geh, bevor sie dich taufen oder totschlagen.«
    Die Erinnerung schmerzte meinen Bruder immer noch, obwohl unsere Flucht doch schon dreiundzwanzig Jahre zurücklag – David war damals vierzehn gewesen und ich sechzehn.
    »Wir Juden mussten bis Anfang August 1492 das Land verlassen haben. Sollten nach diesem Datum, dem 9. Aw 5252, Juden in Kastilien oder Aragón erwischt werden, würden sie … wie hieß es im Edikt? … würden sie unter Ausschaltung des Gerichtsweges mit dem Tod und der Vermögenseinziehung zu Gunsten des königlichen Schatzes bestraft werden.« Davids Tonfall war bitter. »Diese verdammten Heuchler! Als hätten wir, die rechtlosen Juden, uns jemals gegen die Vertreibung wehren können! Als hätten wir unser Vermögen ins Exil mitnehmen können!
    Das Edikt beschied: Ihr Juden dürft alles mitnehmen, was ihr besitzt – das klingt sehr großmütig, nicht wahr? –, mit Ausnahme von Gold, Silber und Münzgeld. Mit anderen Worten: Den Erlös aus dem Verkauf unseres Hauses, des Landsitzes, der kostbaren Möbel und allem, was uns lieb und teuer war, durften wir nicht mitnehmen.
    Wir Juden, ein großer Teil der spanischen Bevölkerung, wurden vertrieben, und die katholischen Könige nahmen sich alles, was wir zurücklassen mussten. Wenn sie uns erlaubt hätten, alles wegzuschleppen, was wir besaßen, wäre Spanien arm gewesen. Aber so blieb das Gold im Land und die Juden gingen, und Spanien war trotzdem arm – moralisch wie geistig!«
    Celestina legte ihm die Hand auf den Arm. »Ich bin zutiefst beschämt über das, was euch angetan wurde.«
    David ergriff ihre Hand. »Celestina, ich hasse dich nicht, weil du Christin bist. Ich verachte jene, die uns gedemütigt, beraubt und vertrieben haben. Die uns Adonai, unseren Herrn, weggenommen haben. Die uns gegen unseren Willen getauft haben. Die uns mit der Folter der Inquisición bedroht haben, mit den Qualen des Scheiterhaufens und mit dem Tod.«
    »Und was habt ihr nach der Verkündigung des Ausweisungsediktes getan?«,

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