Die Evangelistin
fragte sie.
»Viele unserer Freunde haben sich taufen lassen, weil sie Granada nicht verlassen wollten. Andere konvertierten, weil sie fürchteten, den weiten und anstrengenden Weg ins Exil nicht zu schaffen – denn wohin sollten wir gehen? Nach Frankreich, wo die Juden im Jahr 1306 enteignet und vertrieben worden waren? Nach Deutschland, wo 1349 die Juden in Frankfurt, Mainz, Köln und Worms abgeschlachtet wurden und Tausende Selbstmord begingen, als sie nach dem verlorenen Kampf in ihre Häuser flohen, um sie dann anzuzünden und sich zu verbrennen, damit sie nicht den Gojim in die Hände fielen? Nach Portugal? Oder nach Italien? War es dort wirklich besser als in Spanien?
Als Conversos durften sie bleiben und ihre Häuser in Granada behalten. Die Spanier nennen diese getauften Juden verächtlich Marranos – Schweine. Wir Juden nennen sie Anusim – die Gezwungenen.«
»Und was habt ihr getan?«
»Wir haben uns gegen die Taufe entschieden«, antwortete David.
»Warum?«
»Wir haben drei Monate lang gesehen, wie es den getauften Juden erging. Sie wurden nicht besser behandelt, obwohl sie konvertiert waren. Nein, sie wurden verachtet, weil sie ihren Glauben abgelegt hatten.
Wir haben darüber nachgedacht, was geschehen würde, wenn Tausende Anusim in Sevilla und Córdoba, in Toledo, Valencia und Barcelona heimlich dem Glauben ihrer Väter treu blieben, und sahen die Scheiterhaufen in Kastilien und Aragón brennen. Tausende Scheiterhaufen! Es schien unvermeidlich!
Aus einem Converso, einem getauften Juden, würde niemals ein Christ werden, dessen Leben nicht durch die Inquisición bedroht war. Ein Converso würde den ihm von Gott geschenkten Schabbat einhalten und koscher essen. Er würde mit anderen die Tora lesen, fasten und Jom Kippur feiern. Und irgendwann wäre er so mutig, sich eine kleine Laubhütte zu errichten, um das Sukkot-Fest zu feiern.
Seine Kinder wären die Kinder von Conversos. Wie ihre Enkel und Urenkel. Es war ein Leichtes, jemanden wegen seines Glaubens bei der Inquisición anzuklagen – wir haben doch jahrelang die Prozesse in Sevilla und Córdoba beobachtet, die seit der Gründung der spanischen Inquisición zwölf Jahre zuvor dort stattfanden. Wer verdächtigt wurde, wurde gefoltert, und wer gefoltert wurde, der gestand, und wer gestand, der stieg auf den Scheiterhaufen des Auto de Fé.
Nein, wir wollten das Himmelreich Gottes nicht aufgeben, um es gegen die Hölle einzutauschen.«
»Du sagst, ihr hättet drei Monate lang zugesehen? Dann seid ihr zum letztmöglichen Zeitpunkt aus Granada weggegangen?«, fragte Celestina atemlos.
»Wir haben versucht, unseren Besitz zu einem guten Preis zu verkaufen, doch der Wert sank jeden Tag weiter. Die Christen warteten bis zum letzten Augenblick, dann kauften sie für einen lächerlichen Preis Häuser, Weingärten und Obstplantagen, die sie sich sonst niemals hätten leisten können. Wir wollten alles verkaufen, doch was uns für das Haus und den Landbesitz geboten wurde, war eine Demütigung. Und selbst wenn wir die wenigen Maravedís genommen hätten – wir hätten sie ja nicht behalten dürfen.
Also beschlossen wir, unsere Schätze zu vergraben und den Palacio nicht zu verkaufen. Wir haben die Haustür verriegelt – mittlerweile hatte unsere Tür ein Schloss! – und sind weggegangen, als würden wir verreisen und schon bald wieder zurückkehren.
Unser Haus konnte von keinem Christen als sein Eigentum betrachtet werden, denn es gab ja keinen Kaufvertrag – und den Schlüssel haben wir mitgenommen. Das war eine sehr weise Entscheidung unseres Vaters, doch das begriffen wir erst Wochen später! Denn so gehörte uns das Haus ja noch. Und die kostbaren Bücher in der Bibliothek unseres Vaters. Und das Gold und der Schmuck, die im Garten vergraben lagen.«
Celestina war verwirrt. »Aber ich dachte, ihr wärt geflohen!«
»Das sind wir«, erwiderte David. »Wir waren eine der letzten jüdischen Familien, die Granada verließen. Jeder von uns hatte ein Bündel hinter dem Sattel aufgeschnallt: Kleider, persönliche Gegenstände, die silbernen Schabbatleuchter. Mehr hätten wir ohnehin nicht mit an Bord eines Schiffes nehmen können.
Unser Vater hatte entschieden, dass wir nach Alexandria segeln sollten, um dann nach Kairo zu gehen, wo er dem Mameluckensultan als Berater dienen konnte.
Diese Reise bedeutete ihm sehr viel: Sie war die Umkehr – nicht der Exodus der Israeliten aus Ägypten ins Gelobte Land, sondern der Exodus vom Paradies
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