Die Evangelistin
können. Wenn mir das gelingt, dann wäre Jeschua nicht vergeblich am Kreuz gestorben.«
Mit welcher Begeisterung er sprach! Er war so erfüllt von seiner Vision, so beseelt von seinem Glauben, dass mir meine Zweifel ganz unangemessen erschienen. Trotzdem fragte ich:
»Und wieso glaubst du, in der Disputation gegen die Kardinäle gewinnen zu können?«
In der Vergangenheit war die Rollenverteilung in christlich-jüdischen Glaubensdisputationen immer gleich gewesen: Die Christen gingen in die Offensive, und die Juden mussten sich verteidigen, mal mit den gleichen scharfen Waffen kämpfend, mal sich und ihren Glauben rechtfertigend, mal ihre Freiheit und ihr eigenes Leben verteidigend.
Aber am Ende war das Ergebnis immer dasselbe: Die Juden leugneten entschieden Jesu Gottessohnschaft und sprachen ihm seinen Titel als Messias ab. Sie leugneten die Auferstehung nach Jesu Sühnetod am Kreuz und hielten den Schriftgelehrten Paulus, den Gründer des Christentums, für einen jüdischen Ketzer. Die Juden hatten die besseren Argumente. Doch die Christen hatten stets das letzte Wort: ›Verbrennt den Talmud, verbrennt die Bücher der jüdischen Rabbinen und Philosophen!‹
Als Humanistin fragte ich mich, wer denn nun eigentlich gewonnen hatte – jene, die Recht hatten, aber keine Macht, oder jene, die Macht hatten und sich mit Gewalt rechtfertigten. Ich glaubte, dass beide verloren hatten.
»Wieso nimmst du an, dass die Kardinäle überhaupt mit dir disputieren wollen?«, fragte ich nach.
»Weil ich glaube, dass das hebräische Evangelium in Shemtovs Buch das Original von der Hand des Evangelisten Matthäus ist. Nicht das Original. Aber eine Abschrift davon, die Shemtov sinngemäß rekonstruiert hat.«
Für einen Augenblick war ich sprachlos.
Das Original von der Hand des Evangelisten!
Die Gedanken eines Menschen, der Jesus vielleicht noch persönlich gekannt hatte!
Natürlich waren mir, als ich die griechischen Evangelien gelesen hatte, die vielen Grammatikfehler aufgefallen, die seltsame Satzstellung, die zweideutige Wortwahl und die Wortentlehnungen aus dem Hebräischen, die dem griechischen Denken so fremd waren: das Königreich der Himmel, der Bund mit Gott, Gnade, Sühne und Erlösung durch einen Messias. Aber ich hatte diese Unvollkommenheiten den mangelnden Sprachkenntnissen der Evangelisten zugeschrieben, die in den Provinzen Galiläa und Judäa eben kein klassisches Griechisch beherrschten, sondern nur die Umgangssprache. Nie aber wäre ich auf die Idee gekommen, dass eine Formulierung, die im Griechischen völlig unsinnig, ja sogar absurd war, im Hebräischen, weil es eben nicht zu übersetzen ist, durchaus einen Sinn haben könnte.
»Ich dachte, die Evangelisten hätten ihre Texte in Griechisch niedergeschrieben, und daraus entstand dann Jahrhunderte später die lateinische Übersetzung der Evangelien.«
Elija schüttelte den Kopf. »Sag mir, Celestina: Warum hätte der Jude Mattitjahu sein jüdisches Evangelium über die jüdischen Lehren des jüdischen Rabbi Jeschua für jüdische Gläubige auf Griechisch niederschreiben sollen?«
»Weil Griechisch damals die Umgangssprache in Galiläa und Judäa war. Und Jesus selbst hat Aramäisch gesprochen.«
»So, hat er das?« Elija lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, beide Hände ruhten auf den Armlehnen. »Wie erklärst du dir dann die Tatsache, dass Paulus nach seiner Gefangennahme im Tempel von Jeruschalajim seine Verteidigungsrede in Hebräisch hielt, nicht in Lateinisch oder Griechisch? Nachzulesen in der Apostelgeschichte.«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Weil Hebräisch zur Zeit Jeschuas und auch noch zur Zeit der Zerstörung des Tempels täglich gesprochen wurde! Selbst Flavius Josephus, der einzige Historiker, der Jeschua überhaupt in seinem Werk erwähnt – denn alle anderen römischen, griechischen und jüdischen Historiker kennen ihn nicht –, hat sein berühmtes Werk Der jüdische Krieg zuerst in seiner Muttersprache verfasst und später ins Griechische übertragen. Er hat sein Werk also zweimal niedergeschrieben – wie der Evangelist Mattitjahu sein Evangelium. Erst auf Hebräisch, dann auf Griechisch.«
»Nachzulesen wo?«
»In den Schriften der Kirchenväter: Papias, Irenaeus, Origenes, Eusebius, Hieronymus, Clemens und eine Hand voll anderer großer Gelehrter der Kirche. Sie alle berichten von einem hebräischen Evangelium, das Mattitjahu verfasst haben soll.«
»Aber …«, begann ich und verstummte.
Wenn es ein solches
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