Die Evangelistin
pressten meinen Körper fest gegen seinen. Er war erregt.
Ein spanischer Hidalgo, der sich mit einem Venezianer in einem verborgenen Rio in einer Gondel vergnügt hatte – das waren wir! In Venedig war die homoerotische Liebe so verbreitet, dass wir nicht weiter auffallen würden, wenn wir Arm in Arm durch die nächtlichen Gassen spazierten. Weder die Signori di Notte noch der Patriarch, der zornig auf der Kanzel das Gottesgericht auf das sittenlose Venedig herabbeschwor, konnten daran etwas ändern.
Ich schlang meinen Arm um Elijas Hüfte und wandte mich zum Gehen. Er lehnte sich gegen mich, als wäre er noch ganz verzückt von dem in der Gondel genossenen Liebesrausch. Als wir gemeinsam dem Mann auf den Stufen des Palastes entgegenstolperten, fragte er mich auf Spanisch:
»Soll ich dich zum Lachen bringen, mi amor?« Als ich nickte, fuhr er fort: »Also: Ein Jude geht in eine Kirche …«
»Juan, das ist absurd!«, kicherte ich auf Venezianisch, da ich Spanisch zwar verstand, jedoch nicht sprach.
»Nein, das ist es nicht! Sieh dir die christlichen Kirchen genau an: In jeder Kirche hängt ein Jude am Kreuz!«, erklärte er todernst. »Also: Ein Jude geht in eine Kirche, um zu beten. Es ist Abend – bitte beachte den eschatologischen, also endzeitlichen Aspekt dieses Gleichnisses!«
»Ich habe ihn bemerkt«, kicherte ich. »Erzähl weiter!«
»Es ist also schon spät. Der Jude steht vor dem Kreuz und betet mit dem Tallit um die Schultern das Schma Israel. Da kommt der christliche Priester und spricht ihn an. ›Es tut mir Leid‹, sagt er, ›aber der Abendgottesdienst beginnt gleich. Juden sind dabei nicht erwünscht. Bitte geht jetzt!‹ Da nimmt der Jude das Kreuz vom Altar, trägt es fort und sagt: ›Komm, Jeschua, mein Bruder, es ist Zeit: Wir müssen gehen.‹«
Ich lachte schallend.
Wie ein verliebtes Paar schlenderten Elija und ich – Juan und Luca – Arm in Arm zu einer Seitengasse, die nach San Moisè führte. Als wir in die Gasse einbogen, blieb ich stehen und blickte zurück, um zu sehen, ob der Mann uns folgte.
Nein, er saß noch immer auf den Stufen und beobachtete den Eingang der Ca’ Tron. Die Täuschung war gelungen!
Dann zog ich Elija mit mir fort, über den Campo San Maurizio, über mehrere Brücken und Plätze zur Moses-Kirche. Während wir durch die Gassen gingen, stützte er mich: Der Weg war weit, und mein rechter Fuß schmerzte mit jedem Schritt mehr.
Als wir endlich die Piazza San Marco erreicht hatten, blieb ich einen Moment stehen und sah mich um. Waren Elija und ich erkannt worden? Wurden wir verfolgt?
Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn wir nur wenige Schritte vom Dogenpalast entfernt Tristan in die Arme liefen.
Die schönste Art, einen Sommerabend zu verbringen, ist mit einem geliebten Menschen auf der Piazza San Marco spazieren zu gehen. Niemals habe ich die Piazza menschenleer gesehen, nicht einmal um Mitternacht oder bei Acqua alta, wenn das Wasser steigt und die Wellen der Lagune gegen die Säulen von San Marco schwappen! Aber noch schöner ist es, mit einem Glas Wein unter den schattigen Arkaden der Prokuratien zu sitzen, die Menschen zu beobachten und mit Tristan viel Spaß zu haben. Unvergesslich waren die Abende, wenn ein Lautenspieler sich zu Füßen des Campanile niederließ und ein ergreifendes Liebeslied spielte – die Musik wehte dann mit dem Wind von der Lagune über die ganze Piazza. Ein paar Mal hatten Tristan und ich uns im Schatten der Arkaden geküsst.
Ich seufzte aus tiefstem Herzen.
»Du hast Schmerzen.« Elija legte den Arm um mich.
»Ich werde es schon schaffen. Es ist nicht mehr weit.« Ich biss die Zähne zusammen und humpelte weiter in Richtung Campanile, dann an der Basilica di San Marco vorbei zum Portal des Dogenpalastes. Elija folgte mir.
Die Porta della Carta stand noch weit offen, war aber bewacht.
Die beiden Bewaffneten, die mich kannten, runzelten angesichts meiner unschicklichen Kleidung die Stirn und betrachteten dann misstrauisch Elija, der sich einen Schritt hinter mir hielt.
»Hat die Sitzung des Consiglio dei Dieci schon begonnen?«, fragte ich sie. »Ich muss dringend mit dem Dogen sprechen, bevor der Prozess beginnt.« Schon wollte ich an ihnen vorbeigehen, als die Wachen mich aufhielten:
»Wer ist dieser Mann?«
Ich wandte mich zu Elija um. »Er ist ein Zeuge – ein spanischer Converso, der gegen den angeklagten Juden Ibn Ezra aussagen soll«, erklärte ich ein wenig ungeduldig, als ginge ich davon aus,
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