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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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›griechisch-orthodoxe Papst‹!«
    Meine Geste umfasste den ganzen Raum:
    »Diese Dachkammer ist eine Schatzkammer für Humanisten. Und die Grabkammer meines christlichen Bekenntnisses. Es war ein langer Weg, der mich vom Glauben zum Wissen führte. Dieser Raum ist für mich ein heiliger Ort. Denn hier ruht das Wissen der Welt!«
    »In einer staubigen Dachkammer?«
    »Als er seine Bücher der Republik Venedig schenkte, wünschte Basilios Bessarion, dass sie im Dogenpalast jedermann zugänglich wären, der sich durch das Studium vervollkommnen will. Seit Jahren befindet sich die Büchersammlung in dieser Dachkammer, weil der Senat sich nicht entschließen kann, an der Piazzetta ein Bibliotheksgebäude zu errichten.
    Im Lauf der Jahre sind von den ursprünglich siebenundfünfzig Kisten nur noch achtundvierzig übrig geblieben. Viele Humanisten, die Bücher entliehen hatten, brachten sie nicht zurück – berühmtestes Beispiel: Lorenzo de’ Medici.
    Im Jahr 1492 erließ der Senat dann die Verordnung, wonach eine Entleihung dieser überaus wertvollen Bücher nur mit dem Einverständnis von zwei Dritteln der Senatsmitglieder möglich war. Die Dachkammer wurde verschlossen, und niemand durfte mehr hinein.«
    »Aber du hast einen Schlüssel zum Himmelreich?«
    Ich schmunzelte. »Der Doge war der beste Freund meines Vaters. Er hat ihn mir gegeben.«
    »Und du hast alle diese Bücher gelesen?«
    »Mein Vater hat mich wie einen Sohn erzogen. Doch als junge Frau durfte ich nicht an einer Universität studieren. In den letzten Jahren habe ich die meisten dieser Bücher gelesen. Da ich sie nicht mitnehmen durfte, musste ich sie hier studieren. Tage und Nächte habe ich in dieser Dachkammer verbracht. Wenn ich in Florenz oder Rom studiert hätte, wäre ich längst Doktor der Theologie und Philosophie.«
    »Ich bin beeindruckt«, gestand Elija. »Alles, was du weißt, hast du dir selbst beigebracht.«
    Über den staubigen Boden kroch ich zu einer anderen Bücherkiste. »Komm hier herüber, Elija! In dieser Truhe liegen die Schriften der Kirchenväter.«
    Er folgte mir und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen neben mich, während ich eine Kerze entzündete.
    Das Licht war so schwach, dass der Schein nicht durch das Fenster nach draußen fallen und unsere Anwesenheit an diesem verbotenen Ort verraten würde.
    Das Letzte, was ich wollte, war eine Entdeckung, die unvermeidliche Auseinandersetzung mit dem Senat von Venedig, eine Untersuchung des Consiglio dei Dieci, um herauszufinden, wer mir den Schlüssel gegeben hatte und wer noch alles von meinen heimlichen Besuchen in Bessarions Bibliothek wusste. Aber das flackernde Licht war hell genug, dass wir in den Büchern lesen konnten.
    Ich zog Eusebius’ Kirchengeschichte aus der Truhe und schlug sie auf. Elija rückte näher heran und blätterte in dem Buch auf meinen Knien, bis er den entsprechenden Absatz gefunden hatte:
    »Hier steht es, siehst du? Eusebius von Caesarea schreibt in seinem dritten Buch der Kirchengeschichte : ›Matthäus hatte zuerst die Juden gelehrt, und als er zu den anderen ging‹ – gemeint sind die Heidenchristen! – ›schrieb er das Evangelium in seiner eigenen Sprache nieder‹ – also in Hebräisch!«
    Elija blätterte weiter und wies auf einen weiteren Absatz:
    »Papias von Hierapolis, der im zweiten Jahrhundert fünf Bücher über die Sprüche Jesu verfasste, wird von Eusebius zitiert: ›Matthäus sammelte die Worte Jesu in der hebräischen Sprache, und jeder interpretierte sie, so gut er konnte.‹«
    Wieder blätterte er ein paar Seiten um:
    »Im fünften Buch wird der heilige Irenaeus von Lyon zitiert: ›Matthäus gab den Juden ein Evangelium in ihrer eigenen Sprache‹ – also Hebräisch! – ›während Petrus und Paulus in Rom predigten und die Kirche gründeten.‹
    Und im sechsten Buch führt Eusebius den Kirchenlehrer Origenes an. Er schrieb: ›Das erste Evangelium wurde von Matthäus verfasst, der einst ein Steuereintreiber war, aber später dann ein Apostel Christi wurde. Er hatte das Evangelium in Hebräisch für jene Juden geschrieben, die zum Glauben gefunden hatten.‹«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es war unfassbar!
    Elija verstand mein Schweigen falsch:
    »Wenn du die Glaubwürdigkeit von Heiligen, Bischöfen und Kirchenlehrern anzweifeln willst, weil du denkst, Eusebius habe sie falsch verstanden, dann solltest du dir anhören, was Hieronymus, der Übersetzer der lateinischen Bibel, dazu zu sagen hat.
    Er

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