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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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dass die Wachen am Portal Bescheid wüssten, wer während der geheimen Nachtsitzungen den Palazzo betreten durfte und wer nicht. »Ist Signor Venier schon eingetroffen?«, fragte ich: Ich wollte Tristan auf keinen Fall begegnen – nicht mit Elija an meiner Seite.
    »Vor einigen Minuten«, nickten die Wachen.
    »Dann werde ich ihn im Sitzungssaal des Consiglio dei Dieci treffen.« Ich winkte Elija, mir zu folgen, und ging weiter in den von Fackeln beleuchteten Torgang hinein.
    Die Wachen hielten uns nicht auf, als wir die Freitreppe zur Loggia hinaufstiegen. Der Innenhof war hell erleuchtet.
    Auf der Treppe kam uns Antonio im langen Ornat eines Prokurators von San Marco entgegen. Als er mich im Fackelschein erkannte, blieb er überrascht stehen, die Hände im Gewand verborgen. »Celestina!«
    Ich nickte ihm kühl zu und wollte an meinem Cousin vorbeigehen, aber er hielt mich am Ärmel fest.
    »Warte einen Augenblick! Heute Morgen habe ich dich mit Tristan in San Marco gesehen. Celestina, ich bitte dich: Wir müssen miteinander reden …«
    »Fass mich nicht an!« Energisch fegte ich seine Hand von meiner Schulter. »Fass mich nie wieder an, Antonio, oder ich erzähle ganz Venedig, was du getan hast!«
    »Celestina, ich flehe dich an!«, beschwor er mich und sah zu Elija hinunter, der uns beobachtete.
    »Du wirst niemals Doge werden, du verlogener Intrigant! Nicht solange ich lebe!«, fauchte ich ihn an. »Und jetzt geh mir aus dem Weg!«
    Mein Tonfall ließ ihn unwillkürlich einen Schritt zurückweichen. Seinen Gesichtsausdruck konnte ich im flackernden Schein der Fackeln nicht deuten. War er enttäuscht? War er wütend? Hatte er wirklich gehofft, ich würde mich mit ihm versöhnen? Ihm vergeben? Alles vergessen, was er mir in den letzten Jahren angetan hatte?
    Elija folgte mir die Treppe hinauf.
    Mit geballten Fäusten blickte uns Antonio nach. Schließlich wandte er sich um und verließ den Palazzo, um in die Prokuratien zurückzukehren.
    An der Bocca di Leone vorbei eilten Elija und ich zur Treppe, die zur Dogenwohnung und den Sitzungssälen der Savi und der Dieci hinaufführte. Das Licht der Fackeln im Hof tauchte die Loggia vor uns in tiefe Finsternis. Ich ergriff Elijas Hand und zog ihn mit mir durch die Loggia, drei Treppen hinauf und einen Gang entlang, bis wir vor einer Tür ankamen.
    »Wo sind wir?«, fragte er verwirrt.
    Ich zog den Schlüssel hervor und öffnete die Tür. Dann schob ich Elija in den dunklen Raum und verriegelte von innen.
    »Du bist im ›Königreich der Himmel‹«, eröffnete ich ihm feierlich.
    Erstaunt sah er sich um. »Es ist eine dunkle, staubige Dachkammer … mit vielen Truhen …«
    Er betrachtete den Raum unter dem Dach des Dogenpalastes, das runde Fenster zur Piazzetta mit dem Blütenornament, die Truhen und den Tisch, der wie ein Altar wirkte. Das geheimnisvoll flackernde Licht von den Fackeln an der Fassade und der schwere, sinnliche Duft von alten Büchern ließen die Kammer wie eine Kathedrale erscheinen!
    »Für mich ist es das Paradies.« Ich nahm seine Hand und führte ihn durch die Finsternis zu den Truhen. »Als Kind glaubte ich, dieser Raum wäre heilig. Ich bin sehr oft hierher gekommen, um zu beten, häufiger als in die Basilica di San Marco, die nur wenige Schritte entfernt ist.
    Nach dem Tod meines Vaters, der im Kampf gegen Papst Julius fiel, habe ich lange keine Kirche mehr betreten. Ich bin in das ›Königreich der Himmel‹ gekommen, weil ich glaubte, dass Gott hier ist.«
    Elija betrachtete mich aufmerksam. Er hielt meine Hand, und einen Augenblick lang dachte ich, er wollte mich küssen.
    Ich hockte mich vor eine der Truhen, zog ihn neben mich auf die Knie und öffnete den Deckel.
    »Bücher?«, staunte er.
    »Achtundvierzig Truhen voller Bücher«, entgegnete ich. »Dies ist die berühmte Bibliothek von Ioannis Basilios Bessarion, dem Erzbischof von Nikaia, der anlässlich des Unionskonzils mit dem Kaiser von Byzanz und dem Patriarchen nach Florenz kam, um die römische und die griechische Kirche zu vereinigen.
    Am 6. Juli 1439 las Kardinal Giuliano Cesarini in der Kirche Santa Croce in Florenz die lateinische Fassung der Unionsbulle, und Basilios Bessarion kam die Ehre zu, die griechische Fassung vorzutragen. Wegen seiner Leistungen auf dem Konzil war Bessarion vom Papst zum Kardinal und später zum lateinischen Patriarchen von Konstantinopolis ernannt worden. Und Jahre später im Konklave wäre er sogar beinahe Pontifex geworden: der erste

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