Die ewige Bibliothek
aus dem Weg geräumt, damit er sich stärker auf die Ausbildung seiner Stimme konzentrieren konnte. Für Unterkunft wurde gesorgt, und ein Universitätsstudium lieferte man ihm praktisch an die Haustür, bevor er sich auch nur um eine Bewerbung bemüht hatte. Die Wiener waren weitgehend davon überzeugt, dass der selbe Glücksfall, der Mozart hervorgebracht hatte, in Gestalt dieses blonden Wunderkindes erneut eingetreten war. Sollte es mit seiner Hilfe gelingen, eine neue Identität für Österreich als unangefochtenen kulturellen Mittelpunkt Europas zu schmieden, so musste man auf dem Weg zu diesem Ziel möglichst alle Hindernisse wegräumen.
Obwohl der Wunderknabe nichts dagegen hatte, dass ihm die Wiener die Welt auf einem Silbertablett servierten, hatte er hinsichtlich seiner Karriere andere Pläne.
Galen lehnte die Angebote zahlreicher Opernensembles ab, die er in ihrem Festhalten an Traditionen alle für altbacken und unbeweglich hielt. Stattdessen gründete er sein eigenes Ensemble und bahnte sich in Europa mit den Fähigkeiten eines Caruso und der Entschlossenheit eines jungen Orson Welles seinen Weg. Fast wie Kenneth Branagh, der mit seiner Schauspieltruppe Shakespeare revolutioniert hatte, bot das Gunnar-Galen-Opernensemble die besten Opern dar, die jemals geschrieben wurden, in aufwändig gestalteten Inszenierungen, aufgeführt in den Sälen der Kaiser und Könige. Und Galen spielte alle großen Rollen – das heißt, alle bis auf eine.
Seine erste große Tour wurde in jeder Hinsicht ein erstaunlicher Erfolg. Für Galen war sie jedoch lediglich die Aufwärmphase für das, was eine Karriere beispielloser Errungenschaften zu werden versprach. Aufnahmen seiner Aufführungen hatten ihn reich gemacht, und er konnte sich aussuchen, wann, wo und wie er auftreten wollte. Bald wurde die einmalige Einladung an Galens Ensemble ausgesprochen, eine der alljährlichen Inszenierungen von Wagners Ring-Zyklus im Wagner-Festspielhaus in Bayreuth zu orchestrieren, auszugestalten und aufzuführen – und Galen nahm an. Während der letzten Jahre hatten die verschiedenen Inszenierungen des Rings die ganze Skala von innovativ bis skandalös durchlaufen. Welche Richtung Mikaal Gunnar-Galen der Aufführung auch geben wollte, man würde sie mit offenen Armen und stolzem Lächeln begrüßen. Das jährliche Festival in Bayreuth war ein Symbol nationaler Tradition und Identität, und Galen war zu diesem Zeitpunkt (sehr zum Verdruss der Österreicher) Deutschlands liebster Adoptivsohn.
Das Ensemble gab eine letzte Aufführung in der Schweiz. Danach würde der Rest des Jahres ganz den Vorbereitungen auf den Ring gewidmet sein.
Da bei der Planung ihrer Aufführungen in Brüssel ein Fehler unterlaufen war, kam das Opernensemble frühzeitig in Luzern an, und bis zum Montagabend waren alle notwendigen Vorbereitungen für die erste Aufführung am Mittwoch getroffen. So blieb den Künstlern ein ganzer Tag, um sich zu entspannen und zu proben oder sich die Sehenswürdigkeiten anzuschauen. Galen entschied sich für letzteres, nachdem er einen Blick auf einige der Sehenswürdigkeiten geworfen hatte, die sich um den Eingang der Aufführungshalle drängten, ganz aus langen Beinen und Lächeln bestanden und bemüht waren, eine der gerade angekommenen Berühmtheiten kennen zu lernen. Was hatte man schließlich davon, eine angehende Berühmtheit zu sein, wenn man seinen Status, Ruhm und Charme nicht für etwas einsetzte, wofür man sich wirklich schämen konnte?
Sie hieß Ella und war das Idealbild eines jungfräulichen Mädchens – auch wenn Galen bereits nach wenigen Minuten allein mit ihr in den Ställen ihres Vaters davon überzeugt war, dass sie keineswegs jungfräulich war und ihr Bestes geben werde, um ihn ob dieser Tatsache überaus glücklich zu machen. Er hielt es zudem für das Klügste, nicht nach ihrem genauen Alter zu fragen.
Sie war ebenso groß wie er, und so konnte er an ihren Ohren knabbern, während er weiter unten vollkommen von ihr eingenommen war. Sie hatte große, volle Brüste und roch ganz leicht nach Orangenblüten. Sie kicherte, als er sich in ihr bewegte, und verschränkte ihre Beine hinter seinem Rücken, um ihn fester an sich zu ziehen.
Das war natürlich keine Situation, die ihm Anlass zu dem Gedanken gegeben hätte, dass sich seine Karriere dem Ende näherte. Ebenso wenig sah er voraus, wie sich dieses Ende gestalten würde.
Er konnte sich an einen schwachen Anflug von Beunruhigung erinnern, der über ihre
Weitere Kostenlose Bücher