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Die ewige Bibliothek

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Titel: Die ewige Bibliothek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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Vizerektor war offenbar vor wenigen Tagen einer Art geistigen Besessenheit verfallen und würde voraussichtlich den Rest des Jahres in einem sehr angenehmen Krankenhaus in Linz verbringen und Körbe flechten.
    Galen besaß seiner Einschätzung nach die Unterstützung des Senats, doch der Verwaltungsleiter, der das Gleichgewicht der Fakultät ins Wanken bringen konnte, stand hinter dem derzeitigen Rektor Andreas Räder. So blieben ihm drei Möglichkeiten, um sich den Weg in das Büro des Rektors zu ebnen: Er musste entweder die Unterstützung des Verwaltungsleiters gewinnen; Räders Unterstützung gewinnen; oder Räder völlig aus dem Rennen werfen. Alle drei waren problematisch, doch jede würde zum Ziel führen. Und war Galen erst einmal in der gewünschten Position, würde sich jede Taktik, die er auf dem Weg dorthin angewendet hatte, vertuschen und jedes angeschlagene Ego problemlos kaufen lassen.
    Noch entscheidender war jedoch, dass Galen als Rektor der Universität Wien in der geeigneten Position sein würde, Einfluss auf eine Reihe prominenter Europäer zu nehmen. Und dadurch würde er den Fehler wieder gutmachen können, der ihn daran gehindert hatte, sich seinen größten Herzenswunsch zu erfüllen.
    Der Rektor besaß Einfluss auf Opernintendanten in Berlin, München, Wien, Hamburg, Stuttgart, Frankfurt und Köln, und diese Intendanten beeinflussten gemeinsam die Stiftung, die den zukünftigen Leiter der Bayreuther Wagnerfestspiele berief.
    Er besaß Einfluss auf ehemalige Studenten der Universität, unter denen sich Manager von Firmen wie Volkswagen, Siemens und Terminal Entertainment befanden, die allesamt die Wagnerfestspiele in Bayreuth sponserten.
    Der Rektor hatte das letzte Wort, wenn es um die Verwendung von Überschüssen aus dem jährlichen Etat der Universität ging, der fast vierhundert Millionen Dollar umfasste. Und die Wahl sollte während des Sommersemesters stattfinden, direkt vor den Wagnerfestspielen in Bayreuth.
    Kurz, jemand, der eine so einflussreiche und angesehene Position innehatte wie die des Rektors an der Universität Wien, konnte dort und anderswo verdammt viel erreichen. Sollte also eine solche Person all ihre Mittel und Beziehungen einsetzen, um sich eine sichere Ausgangsposition im Rahmen eines Festivals zu schaffen, dessen kreative und finanzielle Grundlage einer Achterbahnfahrt glich, würde niemand in der Lage sein, ihn davon abzuhalten.
    Und wenn ein solcher Jemand während der Vorbereitungen für besagtes Festival einen skandalösen Besetzungsvorschlag machen sollte, wer könnte es ihm verwehren? Insbesondere, wenn er die Schecks unterschrieb?
    Zugegeben, es blieb immer noch das Problem, dass er nicht in der Lage war, über längere Zeiträume hinweg zu sprechen, geschweige denn zu singen. Doch Galen war überzeugt, dass er jedes Hindernis überwinden würde, das sich ihm in den Weg stellte, wenn er erst einmal auf die Bühne des Festspielhauses in Bayreuth gelangt war.
    Wenn er nur auf diese Bühne gelangen könnte, nur einmal, dann würde er die ganze Welt beherrschen.
     

     
    Blieb immer noch die Frage, wer die rätselhafte Einladung geschickt hatte und aus welchem Grund man ihn als Rektor anredete. Galen betrachtete die Briefkarte und den Umschlag genauer, dann widmete er sich der Eintrittskarte. Auf der Rückseite stand der Name des Nachtclubs und der Veranstaltungsbeginn: in einer knappen Stunde. Er dachte einen Augenblick nach und griff dann zum Telefon.
    Wenige Minuten später erschien ein junger Kurier an Galens Tür, der Sohn des Hausverwalters. Nach einer kurzen Anweisung sauste der Junge den Flur hinunter und verließ das Gebäude.
    Galen versuchte ruhig zu bleiben, ging zum Plattenspieler und legte eine Aufnahme von Orlando Furioso auf. Dann schenkte er sich einen Drink ein und setzte sich an das offene Fenster. Er versuchte sich einzureden, dass er nur die Abendluft genoss, ertappte sich aber dennoch dabei, wie er von Zeit zu Zeit einen Blick auf die Straße warf und auf die Rückkehr des Jungen wartete. Die erste Seite der Schallplatte war nahezu abgelaufen, Becken wurden geschlagen und Hörner trompeteten in einem Triumph aus Klang und Energie, als er den jungen Kurier die Straße unter dem Fenster entlang eilen sah.
    Galen öffnete ihm die Tür und tauschte einige Scheine aus seiner Brieftasche gegen ein gelbes Blatt Papier – einen Handzettel des Clubs, wie sie unter Scheibenwischer geschoben und an Telefonmasten geheftet wurden. Der Junge bedankte

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