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Die ewige Bibliothek

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Titel: Die ewige Bibliothek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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wenn seine Rückkehr nach Wien etwas leiser vonstatten gegangen war als seine Abreise, schien sie nun abgeschlossen zu sein.
     

     
    Als Teil seiner administrativen Pflichten sollte Galen am frühen Nachmittag an einer Anhörung teilnehmen. Es ging darum, ob der Posten eines Gastprofessors und die dazu gehörige Abteilung weiterhin finanziert werden sollten. Der betroffene Akademiker tauchte nicht auf, und das gesamte Komitee tat fast zwei Stunden lang wenig mehr, als wütend vor sich hin zu starren. Die Zukunft der Abteilung und des abwesenden Professors sah nach Galens Meinung nicht allzu rosig aus.
    Er hatte den Abend damit verbringen wollen, eine Mitteilung an den Rektor zu schreiben, in der er vorschlug, die Machtbefugnisse der Vizerektoren so zu erweitern, dass sie einige der Pflichten mit einschlossen, die im Moment vom Akademischen Senat übernommen wurden. Doch aus irgendeinem Grund konnte er einfach nicht aufhören, seine alten Aufnahmen abzuspielen: alle Rollen, die er gespielt hatte, eine nach der anderen, und die eine Rolle, die er nicht gespielt hatte. Als er bei Siegfried angelangt war, sang er im Geiste leise mit. Aus irgendeinem Grund schien der Abend zu einer Nacht der erlebten und nicht erlebten Aufführungen werden zu wollen. Dieser Gedanke ging ihm gerade durch den Kopf, als er hörte, wie etwas leise unter seiner Tür hindurchgeschoben wurde.
    Mit gerunzelter Stirn ging Galen zur Tür und öffnete sie. Im Flur war weit und breit niemand zu sehen, keine Tür wurde hastig geschlossen. Sein Blick verfinsterte sich und er rief den sonst so verlässlichen Portier an. Der aber teilte ihm mit, dass seit einer guten Stunde niemand das Gebäude betreten oder verlassen habe.
    Galen schüttelte den Kopf und hob den kleinen pflaumenfarbenen Umschlag auf. Er war an ihn adressiert, trug sonst jedoch keine weiteren Kennzeichen. Möglicherweise ging es um einen Gesellschaftsempfang – im Laufe der Jahre hatte er viele derartige Einladungen erhalten, auch wenn er in seinem zweiten Leben in Wien weniger geneigt war, an ihnen teilzunehmen. Zusammenkünfte dieser Art waren keine Ereignisse, die seine Seele in Entzücken versetzten – jedenfalls heute nicht mehr.
    Aus Neugier riss er die versiegelte Briefklappe auf und zog die blaue Karte heraus. Es war keine Einladung zu einer Party, sondern eine Aufforderung, sich eine Vorstellung in einem Nachtclub anzusehen. Man sprach ihn mit Namen an und bemühte sich ganz offensichtlich, ihn durch Schmeicheleien zum Kommen zu bewegen, trotzdem war es keine weltbewegende Einladung. Seine Schlussfolgerung, dass es sich um eine eher zweitklassige Angelegenheit handelte, wurde bestätigt, als er den Umschlag umdrehte und eine billige orangene Eintrittskarte zu Boden flatterte.
    Galen knüllte die Einladung zusammen, warf sie in den Aschenbecher neben der Tür und bückte sich dann, um die Eintrittskarte aufzuheben. Dabei warf er noch einmal einen kurzen Blick auf den Umschlag. Ein seltsames Gefühl überkam ihn. Er sah den Umschlag genauer an, glättete dann die Einladung und bemerkte mit einem Mal, was ihn irritiert hatte: Beide waren an ihn adressiert, doch auf unterschiedliche Weise. Die Einladung sprach ihn lediglich als Professor Gunnar-Galen an. Doch der Umschlag selbst war an Mikaal Gunnar-Galen, Rektor, Universität Wien gerichtet.
    Hätte er sich nicht so sehr auf diesen Unterschied und die möglichen Gründe – vorsätzliche oder sonstige – konzentriert, wäre ihm vielleicht aufgefallen, dass seine Hände zitterten. Galen konnte nicht glauben, dass es sich nur um einen Fehler handelte. Dennoch konnte er die Tatsache nicht leugnen, dass ihm die falsche Art der Anrede auf dem Umschlag im ersten Moment nicht aufgefallen war. Und sie war ihm nicht aufgefallen, weil er sich selbst in Zukunft tatsächlich als Rektor sah; allerdings war dies das erste Mal, dass ihn jemand – außerhalb der Pläne in seinem Kopf – auch so angesprochen hatte.
    Der Rektor und die Vizerektoren, die die akademische Leitung der Universität darstellten, blieben vier Jahre im Amt, und die derzeitige Amtsperiode lief in Kürze aus. Einer der anderen Vizerektoren, ein Linguistik-Professor, dessen Fähigkeiten sich auf die Handhabung von Mikrofiches zu beschränken schienen, stellte keinerlei Bedrohung dar und würde sehr wahrscheinlich nicht wiedergewählt werden. Ein anderer war ziemlich kompetent, mit einem Alter von Dreiundachtzig allerdings wohl auch keine Konkurrenz. Und der dritte

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