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Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm

Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm

Titel: Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Fu
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du herkommst! Weißt du es?«
    Ivonne stürmte in die
Kabine zurück und riss den Vorhang zu. Sie ließ sich zu Boden sinken und
verbarg ihr Gesicht zwischen ihren gekreuzten Armen. Wo sie herkam? Sie,
Ivonne, wusste es, sie wusste, dass sie am falschen Platz in einer falschen
Zeit lebte! Sie hatte sich mit Händen und Füßen gewehrt und dennoch ...
    Jetzt
haben sie mich getötet, Daddy, jetzt ist es passiert!
    Es
war ein frostiger Samstag im März, der eisige Wind trug keine Anzeichen von
Frühling mit sich. Ivonne zog ihre Pudelmütze tiefer in die Stirn, während sie
langsam zum Siedlergebiet schlurfte, denn leider hatten ihre Eltern es ihr
nicht verboten, heute bei Piskunovs zu übernachten, und so würden die Dinge
ihren Lauf nehmen. Obwohl sie ihre Schritte zählte, immer wieder verlangsamte,
zwischendurch ein Hüpfspiel machte und die Siedlung zweimal umkreiste, gelangte
sie irgendwann an das Gartentor der Piskunovs. Sie betrachtete den Nato-Draht,
der sich um den Jägerzaun wand, und seufzte.
    Liliane
saß mit überkreuzten Beinen auf ihrem angestammten Platz im Sessel und mampfte
eines der belegten Brote, die sie zur Stärkung parat gemacht hatte. Ihre Augen
huschten nervös hin und her, aber ansonsten erschien sie Ivonne vollkommen ruhig
und gefasst. Neben dem Holzteller, auf dem sich Schinken- und Käsebrote, saure
Gürkchen und in Streifen geschnittene Paprika türmten, lag die Rolle
Nylonschnur, für die sie sich nach langem Hin und Her letztlich entschieden
hatten. Bei ihrer zweiten Probe hatte Ivonne sich am Testdraht geschnitten, und
eine solche, wenn auch winzig kleine Wunde an Hubbsis Bein war Liliane zu
riskant. Nun sollte Liliane die Schnur einfach zweimal spannen, um die
Widerstandskraft zu erhöhen.
    »Iss
was!«  
    Liliane
schob Ivonne den Teller näher heran, aber Ivonne lehnte sich auf dem Sofa
zurück und starrte an die Decke, versuchte, ein aufkommendes Übelkeitsgefühl,
das durch ihren Magen schwappte, zu unterdrücken. Sie war seit Tagen nicht mehr
rennen gewesen, weil ihr ständig schlecht wurde und sie fast jede Mahlzeit
erbrechen musste. Sie war mittlerweile zu zittrig und matt zum Rennen und
selbst Terese glaubte nicht mehr daran, dass ihre Tochter ständig zum Klo
rannte, nur um ihr eins auszuwischen oder dünner zu werden. Ivonne wusste, dass
Terese hoffte, ein fröhlicher Abend bei ihrer Freundin würde sie zum Essen
animieren, denn der Hausarzt hatte mit wackelndem Kopf und nörgelnder Stimme
versichert, dass nichts Organisches vorläge. Dorftrottel, hatte Terese wütend
geschimpft, eine Stimme wie ein Eunuch!
    Und
Ivonne hatte sich insgeheim gefreut, dass Terese das Kaff und seine Bewohner
endlich einmal so wahrnahm wie sie selbst.
    »Ich
mag nicht.« , erklärte Ivonne der Zimmerdecke und hörte Liliane seufzen.
    »Mach
bloß nicht ausgerechnet heute Abend schlapp!«
    »Keine
Sorge. Lass uns nur einfach hier sitzen und abwarten.«
    »Mensch,
das ist doch langweilig. Soll ich dir meine neuen Zeitschriftenausschnitte
zeigen?«
    »Uh-uh.«
    »Wollen
wir unsere Berlinzeit planen?«
    »Ein
andermal.«
    »Na
schön, du Quengelwalross, ich lese, wenn es dich nicht stört.«
    »Nö.«
    »Dann
ist ja gut.«
    Liliane
griff nach einem Buch und schlug es demonstrativ gelassen auf, nahm sich noch
ein Käsebrot und biss herzhaft hinein. Es wurde still im Raum, nur Lilianes Kauen
und gelegentliches Seitenumblättern waren zu hören. Ivonne atmete flach und
zählte die Risse und Flecken in der Zimmerdecke.
    Über
ihnen polterten plötzlich Schritte, Stühle wurden gerückt, die Piskunovs hatten
zu Ende gegessen und verteilten sich im Haus. Die Jungen wurden ins Bett
geschickt, Herr und Frau Piskunov setzten sich auf das grünsamtene Sofa und
stellten den Fernseher an. In wenigen Minuten begannen die Nachrichten, eine
Sendung, zu der es aus Gewohnheit immer ein Bier gab, zudem war Herr Piskunov
nach dem von ihm verordneten flüssigkeitslosen Mahl durstig.
    Zum
ersten Mal an diesem Abend machte er sich auf den Weg in den Keller.
    Liliane
sah von ihrem Buch auf und legte den Kopf schief, als ob sie so besser lauschen
könnte. Die Schritte auf den Stufen waren deutlich zu hören, denn Herr Piskunov
trug an diesem Abend zu ausgeleierten Jogginghosen schwere Holzclogs, die ihn
einige Zentimeter größer machten, seine Feierabendbekleidung, wenn er sicher
sein konnte, dass ihn niemand mehr in seinem Wohnzimmer überraschen würde.
Ivonne oder andere Freunde der Kinder zählten

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