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Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm

Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm

Titel: Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Fu
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nicht.
    Ivonne
schloss die Augen und pirschte sich in Gedanken an Herrn Piskunov heran,
verfolgte atemlos jede seiner Bewegungen, jede Geste: DA! Er knipste das Licht
im Flur an, streifte die schwere Portiere, die klobigen Clogs polterten die
Stufen zum Keller hinab, eine Hand stieß die Eisentür auf, flackernde
Leuchtstoffröhren beleuchteten schmale Holzregale, Getränkekisten, alte
Fahrradreifen und fleckige Umzugskisten. Eine Hand in der Hüfte, um die
rutschende Jogginghose hochzuzerren, beugte sich Herr Piskunov vor und griff
nach einer Halbliterflasche Ganter-Bier, eine Spinne huschte am Kasten vorbei
und Herr Piskunov sah zu, wie sie sich hurtig in Sicherheit bringen wollte,
rasch zu den Regalen wuselte, doch kurz vor dem Holzbrett erwischte er sie mit
seinen schweren Clogs. Dann sah er sich nach weiteren Zeichen der Unordnung um,
rückte eine Sprudelkiste gerade, entfernte das in seine Einzelteile zerlegte,
schmierige Tier von der Sohle und steckte das Tuch in seine Hosentasche, um es
oben Frau Piskunov zu überreichen, damit sie es ins Klo warf oder anderweitig
entsorgte.
    Ivonne
legte sich auf das kurze Sofa und zog die Beine an, hörte, wie Hubert Piskunov
ins Wohnzimmer trat, sah ihn vor sich, wie er erleichtert neben seine Frau
plumpste, sich die Flasche öffnen ließ und ihr das Spinnentaschentuch in den
Schoß warf.
    »Hör
zu, deine lahme Walrossigkeit geht mir langsam auf den Geist!«
    »Meine was ?«  
    Erstaunt
blickte Ivonne Liliane an, die ihr Buch wütend auf den Boden geschmissen hatte.
    »Dein
Wal... ach was, vergiss es! Ich meine deine Glotzäugigkeit, dein Gestiere an
die Decke, deine dramatische Kameliendamenpose auf dem Sofa! Das meine ich!«
    »Mir
geht’s halt nicht besonders!«
    »Los
jetzt, reiss dich zusammen!«  
    Energisch
stand Liliane auf und zog Ivonne vom Sofa hoch.
    »Los,
wir gehen hoch. Die Nachrichten darf ich mir meistens noch mit ansehen.«
    Erschrocken
klammerte Ivonne sich an einem hummerroten Kissen fest. »Bist du wahnsinnig?
Ich will deinen Stiefvater nie mehr sehen!«
    »Der
Wunsch geht ja bald in Erfüllung! Aber jetzt halte ich es für eine gute
Therapie, wenn du ihn dir in all seiner Pracht ein letztes Mal zu Gemüte
führst, damit du noch mal siehst, wie eklig und schauderhaft er ist. Wird dir
guttun, glaube mir!«
    Lilianes
Finger bohrten sich unangenehm in Ivonnes Schulterblätter, während sie sie
bedächtig aber kraftvoll die Treppe zum Wohnzimmer hinaufschob.
    Frau
Piskunov nickte ihnen freundlich zu, als sie miteinander ringend, Arm in Arm,
in das Zimmer stolperten, zwei albern kichernde Gören, die eine lustige Nacht
voller Geschichten über Zukunftspläne, Jungs und Mode vor sich hatten. Zwei
kleine Mädchen, lächelte Frau Piskunov, die sich noch einmal schnell in die
Welt der Erwachsenen trauten, um auszukundschaften, was es dort zu sehen und zu
erleben gab, ach wie lange waren diese Zeiten bei ihr schon vergangen, Schicht
um Schicht düsterer Erwachsenenjahre hatten sich darüber gelegt!
    Hubert
Piskunov schob ihnen mit einem Fuß gönnerhaft einen Sessel neben dem Sofa
zurecht und Liliane bugsierte Ivonne hinein, drückte noch einmal warnend eine
Hand auf ihren Scheitel um sicherzugehen, dass Ivonne sitzen blieb und nicht
sofort voll Panik wieder aufsprang und das Weite suchte.
    Ivonne
spähte vorsichtig zur Seite.
    Hubert
Piskunovs Miene war undurchdringlich, jedoch vibrierte ein Augenlid, stetig
zitterte es über der halbmondförmigen Lesebrille, und Ivonne nahm an, dass ihr
Erscheinen ihn nicht eben beglückte, da ihre Anwesenheit, so wenig störend und
unbedeutend sie auch sein mochte, sein Samstagabendritual unterbrach. Ivonne
machte sich klein und biss die Zähne zusammen. Nur zwanzig Minuten, nur
zwanzig, nur zwanzig, dann war sie aus dieser Situation, von Hubert Piskunovs
Anwesenheit an ihrer Seite, erlöst.
    Liliane
quetschte sich neben Ivonne, ihr bloßer Arm drängte sich kühl und glatt gegen
Ivonnes Haut. Eng zusammengedrängt nebeneinander im Sessel hoffte Ivonne, dass die
Schwingungen ihres galoppierenden Herzens Liliane nicht erreichten, aber sie
fühlte sich, als stünde sie in einem winzigen Aufzug und wüsste, dass sich die
Türen nie wieder öffnen ließen. Sie lauschte Lilianes ruhigem Atem, und da
begriff sie, dass es genau das gewesen war, was Liliane bezweckt hatte, aber
natürlich, es konnte nicht anders sein: Sie würde sich nachher unten in ihrem
Zimmer deutlich wohler fühlen, weil sie einer noch schlimmeren

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