Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm

Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm

Titel: Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Fu
Vom Netzwerk:
und
plattgedrückten Stofftieren auf ihrem Bett und pinselte in dicken Strichen Tereses
bordeauxfarbenen Nagellack auf ihre Nägel. Dann spreizte sie die Finger und sah
zu, wie der Lack zähflüssig an ihren weißen Fingern hinunterlief, bis sie
aussahen als hätte sie sie – Dog Warrior! – in blutige Eingeweide getaucht. Sie
schüttelte ihre Hände in affektierter Teresengeste, bis die Farbe getrocknet
war, und betrachtete befriedigt ihre Todeskrallen.
    Matt vor Hitze rollte
Ivonne sich über einen Plüschelefanten zur Wand, fühlte, wie ihr Bauch unter
dem T-Shirt zur Seite schwappte und es sich in der neuen Lage bequem machte.
Langsam zählte sie die Jahre im Kreisgymnasium des Kaffs. Wie hieß es noch
gleich? Wo waren sie derzeit, in Süddeutschland, im Ruhrgebiet, im hohen
Norden? Träge ritzte sie winzige rostrote Kerben in die Tapete: neunte Klasse,
zehnte (vielleicht schon in einem neuen Kaff?), elfte (wenn sie nicht nach der
zehnten einfach alles hinschmiss, sich ein kariertes Hemd und Cowboystiefel
kaufte und loszog, gen Westen, hinaus auf die Prärie! Wie teuer mochte ein
Pferd sein... oder konnte sie sich mit ihrem Lasso einen Mustang fangen?),
zwölfte, dreizehnte. Wie sollte sie diesen Zeitkoloss bewältigen, wie sich
nicht, hier und jetzt auf ihrem Bett von ihm zermalmen lassen, sich mit einem
Schlage fühlen, als hätte man sie in eine Autopresse gesteckt?
    Drei Wochen des neuen
Schuljahres hatte Ivonne erst hinter sich gebracht, und die Zukunft erstreckte
sich bis in nicht mehr schaubare, tiefschwarze Horizonte.
    Alcatraz, Sing Sing.
Ein Strich für jeden Tag, in blanken Stein geritzt.
    Sonntag, die
Kirchenglocken der katholischen Kaffkirche begannen in der Ferne zu läuten.
Ivonne schloss die Augen und trat hinaus auf die überdachte Veranda, von der
aus man einen atemberaubenden Blick auf einen azurblauen Arizonahimmel, felsige
Hügel und zinnoberrote Canyons hatte. John Wayne saß auf einem roh gezimmerten
Holzstuhl, einen Stiefel gegen die Balustrade gestemmt, kippelnd, während er
lässig und gleichzeitig hingebungsvoll mit seinem Jagdmesser an einem Stück
Holz schnitzte. Ivonne setzte sich neben ihn auf einen kleinen Schemel und
strich sich den ledernen Rock über den Knien glatt, beobachtete seine starken
Hände, spürte das Knistern der Nachmittagshitze und hörte das Rufen der
Cowboys, die im Tal Daddy'sriesige Rinderherden zusammentrieben und sich
so laut gebärdeten, dass sie die dämlichen Kirchenglocken des süddeutschen
Kaffs übertönten! »Daddy, was kostet ein Pferd?« – »Was ein Pferd kostet,
Tochter? Nichts, natürlich, keinen müden Cent! Nimm dir eins aus den Stallungen
oder fang dir eins, schnapp dir ein Lasso und reite einfach los in deinem
karierten Hemd, aber zieh dir was ordentliches an die Füße, nicht diese
kindischen, blauen Kicker-Halbschuhe – auf dem steinigen Felsplateau sind die
mit ihrer Gummisohle zwar gar nicht schlecht, aber woran willst du die Sporen
befestigen?«
    Daddy tätschelte
Ivonnes Schulter und drückte ihr das Schnitzwerk in die Hand, und – ein paar
Tränen kullerten an dieser Stelle auf Ivonnes alten Stoffhasen – sie sah mit
einem langgezogenen AHHHH, OHHHH DAAADDY!! was Daddyihr geschenkt
hatte! Daddy hatte eine Holz-Ivonne geschnitzt! Das waren ihre Gesichtszüge,
ihr kurzes, verstrubbeltes Haar, ihre Stupsnase, ihr Lieblings-Latzrock aus
herrlichem Cordsamt, und was für ein breites Lächeln hatte er ihr mit dem
Messer in das Holz geritzt, von einem Ohr zum anderen!
    »Paaaah!«
    Terese stand in der
offenen Tür und hielt sich mit einer Hand die Nase zu, während sie mit der
anderen eine kleine kupferne Gießkanne schwenkte.
    »Liebe Güte, junge
Dame, mach doch mal das Dachfenster einen Spaltbreit auf, wenigstens ein
winziges Stück! Draußen scheint das Sönnchen! Satt! Geh doch mal vor die Tür!
Andere wären froh, wenn sie so viel Zeit übrig hätten, dass sie sich im
Sönnchen aalen könnten!«  
    Ich, zum Beispiel,
schickte Tereses Blick in Richtung Bett, ruhe und raste nicht, sieh nur genau
hin!
    »Ich hatte genug
Sonne in ... wo war das noch? Willst du, dass ich Hautkrebs kriege?«
    »Was redest du da
wieder für einen altklugen Blödsinn!«
    Mit malmendem Kiefer
und verkniffenem Mund begann Terese die Grünpflanzen zu gießen, während Ivonne
sich in ihren Stofftieren nach der anderen Seite wälzte und sie nicht eine
Sekunde aus den Augen ließ. Der kleine Disput war noch nicht ausgestanden,
niemals würde Terese es bei

Weitere Kostenlose Bücher