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Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm

Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm

Titel: Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Fu
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bis sie wie Mehlsäcke tollpatschig
umfielen und sich die zarten Knie aufschürften, nicht schaden, teilte Ivonne
den Würmern mit. Etwas Aufregenderes würden sie an diesem Tag ohnehin nicht
mehr erleben, sie würden nicht so wie Ivonne noch eine Postkutsche überfallen
und den kreischenden Müttern mit ihren Kindern, die darin kauerten, den Schmuck
und den vollen Proviantkorb, den Ivonne neben der Schaukel gesehen hatte,
wegreißen, rüde, ungehalten! Sie würden nicht noch einen Tresor in der Kaffbank
sprengen, einen gemeinen Viehdieb jagen und dann – aufknüpfen? Erschießen, die
Kugel mitten zwischen die weit aufgerissenen Augen?
    »Heissa.«, murmelte
Ivonne und streckte die Arme weit nach oben, räkelte sich in der kühlen
Waldluft.
    Eleonore tobte mit
einem dicken Ast im Maul an ihr vorüber, ganz Wonne und Aufregung. Der Tag war
für sie jedenfalls schon ein voller Erfolg, nachdem sie alle so viel Spaß und
Trubel auf dem Spielplatz gehabt hatten!
    Der Weg stieg steiler
an, die Tannen lichteten sich, und bald erreichten Ivonne und Eleonore eine
unbewaldete Plattform, auf der eine windschiefe, verwitterte Holzbank stand.
Schnaubend plumpste Ivonne auf die knarrenden Bretter. Eleonore kroch hechelnd
unter ihre ausgestreckten Beine und seufzte wohlig.
    Die Sonne brannte auf
Ivonnes Scheitel und Ivonne senkte den Kopf, um ihre Sommersprossen vor den
kitzelnden Strahlen, die sie dunkel pinseln würden, zu verbergen.
    Müde schloss sie die
Augen.
    Immer müde. Oh, so
müde, vor allem in der Schule, während des Unterrichts, wenn sie ihr Kinn auf
beide Fäuste stützte und ihr Kopf immer schwerer wurde, schwerer, als würde
jemand mit einer Schippe Sand hineinschaufeln, bis er abrutschte und ihr Hals
einen hässlichen Knacks machte, und Ivonne wusste gar nicht, wir ihr geschah,
war sie eingenickt? Oder aber: Radiergummis, nasse Papierkugeln, Bleistifte und
Büroklammern trafen ihr Ohr, ihre Stirn, ihre Nase und – das tat weh! – ihre
geschlossenen Lider! Und wieso unternahm Liliane nichts, wieso warnte, rettete
sie sie nicht, denn deutete nicht alles darauf hin, dass sie seit diesem
wundersamen ersten Schultag eine verschworene Gemeinschaft würden? Mitnichten!
    Trotz ihrer ersten
Erleichterung, einen Platz im Klassenzimmer gefunden zu haben, war Ivonne
keineswegs dankbar, wirklich nicht! Denn Magnum hatte es mit einem Blick
erkannt und stieß Hendrik in die Seite, flüsterte ihm ins Ohr, und beide warfen
fiese glühende Wolfsblicke nach hinten, grinsten und bleckten lange, gelbe
Zähne, was Ivonne genau sah und beschwören konnte, obwohl sie wusste, dass
Hendrik besonders stolz auf seine weiß polierten Zähne war. Und jeden Tag stand
etwas Neues an der Tafel, jeden Morgen gab es krakelige Zeichnungen, Hinweise,
trällerndes Gelächter von der Hydra, wenn ein neues Motto ausgerufen wurde, das
dann in mannigfacher Form den Tag bestimmte: Dick und Doof, Pat und Patachon,
Ratz und Rübe, Biene Maja und Willi, Don Quichotte und Sancho Panza! Und
nirgends Schutz, nirgends Vergessen, nirgends eine Wagenburg, vor allem in den
Pausen, in denen Liliane nach wie vor wie vom Erdboden verschluckt war. Ivonne
musste in diesen Minuten alleine dem Ansturm trotzen, während sie versuchte,
mit klammen, zittrigen Fingern einen Strohhalm in ihre Capri-Sonne zu bohren,
bis das spitze Ende des Halms stumpf war und der Saft aus Dutzenden winziger
Löcher über ihr Aufsatzheft quoll.
    Viel mehr im
Mittelpunkt als noch vor den Sommerferien, das war passiert, und war es da ein
Wunder, dass Ivonne Liliane die Schuld gab und ihren Stuhl energisch von ihr
abrückte, in jeder Stunde halb abgewandt von ihr saß, nur die Lippen kräuselte
und nicht antwortete, Lilianes forschenden Blick hinter den achteckigen
Brillengläsern mied?
    Ivonne öffnete
langsam die Augen, und wenn sie es sich jetzt so sehr wünschte, herbeisehnte,
dass sie das Gefühl bekam ein Seil in ihrer Brust festzuknoten, würde sie es
dann schaffen, dass sie die geschnitzte Figur in ihrer Hand sah, würde sie das
weiche Karohemd auf ihrer Haut fühlen und gegenüber, jenseits der Veranda, die
Canyons, die Schluchten, die wilden Berge sehen? Je langsamer sie die Augen
öffnete, je mehr Gedankenkraft sie aufwendete, desto wahrscheinlicher, oder? Denn
auch Herr Weinwurm sagte immer, dass man alles schaffen konnte, wenn man nur
wollte, »denn frag mal meinen ersten Chef, der hatte mir nix zugetraut, der
Hanswurst, der jämmerliche, und dann hab ich ihm eine Probepackung

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