Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm
trainieren
müsse! Alassio Vaticano!« Terese schlug die Hände über dem Kopf
zusammen und wrang sie unter Einsatz ihres gesamten Körpers. Oh, sie hatte sich
viel abgekupfert in den schönen, italienischen Filmen, ihre dunkle Silhouette
im Glas der Balkontür eine geschmeidige Reflektion – und konnte Ivonne, das
plumpe Kind, nicht ein wenig zur Seite rücken, damit sie sich besser sah? Ihr
Körper, leider nicht für die Ewigkeit auf Zellophan gebannt wie der von Claudia
Cardinale oder Sophia Loren! Aber hatte nicht schon ihr erster Freund Hermann
Weslewski immer wieder insistiert, sie müsse Schauspielerin werden und –
was war geschehen, warum war sie es nicht?
Terese starrte an
Ivonne vorbei auf die dunkle Scheibe, schlenkerte mit den Hüften und drückte
den Busen hervor. Ivonne beobachtete sie gebannt, denn hatte sie diese
Bewegungen nicht schon einmal gesehen, ganz sicher doch, oh ja, damals, als bei
Terese für drei Wochen das Hula-Hoop-Fieber ausgebrochen war und ihr Körper
sich mit fünf Reifen gleichzeitig im Wohnzimmer aalte und wand wie eine
Windhose, während Ivonne mit ihrem hellblauen Reifen auf der Couch saß und
vorsichtig Löcher in das Plastik bohrte.
Ivonne war noch
einmal davongekommen. Terese hatte zugestimmt, Herrn Weinwurm keine Meldung
über die BDM-Nuss zu machen, aber dass keine Klagen mehr kämen und dass Ivonne
von nun an pünktlich zum Sportunterricht erschiene! Wehe, wenn nicht!
Ivonne stemmte sich
gegen die schwere Doppeltür der Turnhalle und zog sich ihren Gummihut vom Kopf.
Wieso verstand Terese nicht, dass ihr der Kragen geplatzt war, dass er ihr
hatte platzen müssen? Sie war eine schiere Ewigkeit lang genötigt worden,
merkwürdige Holzkeulen zu schwingen und sich dabei anmutig in den Knien zu
wiegen, hoch runter hoch runter, so dass die Gelenke knackten und quietschten,
ganz egal ob nach einer echten oder erlogenen Knie-Operation. Und dann ging es
weiter, mit einem flatternden, langen Band über dem Kopf quer durch die Halle,
und Frau Rubin-Enderle schrie sie dauernd an, keifte: »IVOOOONNE, gleichmäßige
Wellen, wie eine zarte Brandung! Das Band ist keine Peitsche, mit der du eine
Rinderherde zusammentreibst!« Und genau das hatte sie gerade getan,
zusammen mit ihrem Daddy , und nun hatte diese mondgesichtige Kuh sie
gestört und eine Stampede ausgelöst! Ivonne blieb schnaubend stehen und
blitzte Frau Rubin-Enderle an. Eine Stampede !
»So, Ivonne, siehst
du?«
Frau
Rubin-Enderle verdrehte ihren Arm graziös und geschmeidig über dem Kopf wie
eine Flamencotänzerin, tänzelte ein paar Schritte in ihrer hellblauen Steghose
hin und her, und da konnte Ivonne nicht mehr an sich halten, denn warum
schaute das Mondgesicht nicht einmal auf den Boden und sah, wie viele
unschuldige, hart arbeitende Cowboys sie mit ihrem Gekeife hingerichtet hatte!
Und Ivonne wandte sich ab, schimpfte, ließ die Peitsche knallen und ritt los,
um zu retten, was zu retten war, vielleicht erwischte sie die Herde noch am
Ende des Tals, bevor die offene Prärie sie verschluckte? Woher sollte sie
wissen, dass das Mondkalb ihr folgen würde?
Im Umkleideraum
surrten die Stimmen, Ivonne erfasste kurz Susannes Blondschopf, dann verlor
sich ihr Blick zwischen all den Mädchen aus den drei Parallelklassen. Bunte
Jogginghosen und silberdurchwirkte Stirnbänder, Stulpen,
Michael-Jackson-T-Shirts und enge Jane-Fonda-Bodies ruckelten vor Ivonnes Augen
wie in einem Kaleidoskop, das sich im Bruchteil einer Sekunde immer neu
zusammensetzte.
Sie drückte sich
direkt neben der Tür gegen die Kacheln und zog ihren Turnbeutel mit dem
Aufdruck Heute schon getrimmt? über den Kopf. Umständlich nestelte sie
am Reißverschluss ihres durchnässten Parkas, hängte ihn an einem Eckhacken auf,
hängte ihn wieder ab und klopfte ihn sorgfältig aus, nestelte an den Ärmeln,
während die Geräusche leiser wurden, oh Gott sei gedankt, niemand hatte sie hinter
der Spindtür bemerkt! Sie warf einen Blick über die Schulter: Der Raum hatte
sich geleert, niemand war da, nur Liliane saß in ihrem Herta BSC Berlin-Trikot
stumm auf einer der Holzbänke und starrte sie mit aufgestütztem Kinn unverwandt
an.
»Was tust du noch
hier? Kann ich nicht einmal alleine zu spät kommen, wenn ich will? Kann eine
Dame sich nicht einmal alleine umziehen, wenn sie das will?«, grunzte Ivonne
und zerrte an den Knien der Jingler-Jeans, doch sie wollten sich nicht von
ihren Schenkeln lösen. Ivonne stampfte auf und rubbelte sie dann
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