Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm
Bett bleiben. Dann haben wir den ganzen Abend für uns, knorke, oder?
Vor dem Morgengrauen kommen die sowieso nicht wieder, bei diesen
Hobbyraum-Partys hier im Viertel wird gesoffen wie nichts, da geht es ab, so
was kennst du gar nicht bei euch in euren schicken Reihenhäuschen!«
Ivonne dachte an die
Wodkaflaschen zwischen den Hemden von Herrn Weinwurm und schwieg.
»Also, abgemacht, du
kommst zum Abendessen, dann stopfen wir die Jungs ins Bett und dann machen wir
eine Mitternachtsparty wie bei Hanni und Nanni, nur cooler, natürlich!«
»Wieso kommen denn
keine anderen von deinen netten Schulkameradinnen?«, fragte Terese und packte
noch eine Packung Milky Way in einen Korb mit Süßigkeiten und Cola. Ihr war
nicht entgangen, dass Ivonne sich in letzter Zeit seltener in die Vorratskammer
schlich, und dafür umso häufiger in Herrn Weinwurms abgewetztem grünen
Jogginganzug die Treppe hinunterpolterte und die Tür hinter sich zudonnerte,
dass Terese jedes Mal zusammenzuckte. Terese fühlte sich merkwürdig
ausgeschlossen, ein Zustand, den sie mit diesem Kind schon zu Genüge kannte,
aber dies Mal war es anders. Was geschah da draußen, wieso hörte sie auf zu
essen? Und wieso beunruhigte und verärgerte sie dies so sehr, dass sie am
liebsten einen Trichter genommen und dem auf dem Bett liegenden Mädchen in den
Rachen gerammt hätte? Und dann würde sie sich rittlings auf ihren Bauch setzen
und quetschte hinein: Pizza, Spaghetti, Flips, Schoko-Nikoläuse, Chips! Nur lag
sie in jüngster Zeit viel zu selten zwischen ihren Kuscheltieren und der
Häkeldecke!
Terese runzelte die
Stirn, als sie Ivonne den Korb überreichte, und Ivonne nicht einmal einen Blick
hineinwarf oder sich bedankte.
»Die anderen? Die
Hexen wollen wir gar nicht dabeihaben.«
»Ach, sind sich die Damen
zu fein für andere Gesellschaft? Na, sieh mal einer an! Da trägt man im
Siedlerviertel das Näschen aber ein bisschen zu hoch, will mir scheinen. Nun,
vergiss nicht: Wenn dir das Essen nicht schmeckt, was Frau Piskunov – klingt
russisch oder sowjetisch oder so, dann gibt es bestimmt Kohl – dir vorsetzt,
dann sag nichts, die können sich so feine Sachen wie wir nicht leisten, schluck
einfach hinunter und schweig wie eine Dame, auch wenn’s dir schwerfällt Bei
deinem Vater und dir muss es ja immer was Besonderes sein, sonst rebellieren
eure verwöhnten Mägen, schlimm ist das manchmal! Neulich habe ich Lilianes
Mutter im EDEKA getroffen – ich dachte zuerst, ich hätte mich verguckt, denn
meistens sieht man sie ja nur bei Penny einkaufen – und was meinst du, was sie
in ihren Wagen lud? Eingepacktes! Eingeschweißte Sachen!«
Terese verdrehte die
Augen. »Eingepackter Käse, eingepackte Wurst, eingepacktes Fleisch! Sie hastete
von Stand zu Stand und hat sich nur die billigsten Sachen herausgeklaubt, ich
hab’s genau beobachtet. Pass also schön Obacht, was sie dir heute Abend
vorsetzt, nimm ordentlich von dem Kohl und rühre kein Fleisch an...
anderseits... ist es natürlich auch unhöflich so deutlich zu zeigen,
dass sie irgendwie minderwertiger als unsereins sind, also mach es doch anders:
Lang kräftig zu wie immer und pack eine dicke Portion auf deinen Teller. Und
zum Nachtisch habt ihr ja noch die Sächelchen aus dem Korb, daran kannst du
denken, wenn der Kohl nicht runterflutscht.«
»Piskunov ist doch
der Name von dem Stiefvater. Und der ist auch kein Russe. Vielleicht gibt es
dann gar nicht Kohl.«, warf Ivonne ein und überlegte, wie es wohl ausgesehen
hatte, als Terese im Eilschritt geduckt durch die Regalreihen schoss, um Frau
Piskunov unauffällig auf den Fersen zu bleiben, während ihr Adlerblick
gleichzeitig jede Kleinigkeit in deren Hand und im Einkaufswagen registrierte.
Terese wedelte
Ivonnes Hinweis beiseite und fuhr fort:
»An der Kasse habe
ich sie dann zufällig getroffen, die Frau Piskunov, und da frage ich sie ganz
harmlos, wie hübsch es doch ist, dass ihr beiden, du und Liliane, euch so gut
versteht, gell? Und sie sieht mich an, mit hochgezogenen Augenbrauen, als würde
sie mich gar nicht wiedererkennen und müsse sich fragen, was diese wildfremde
Frau von ihr will! Dann dämmert es ihr offensichtlich und sie sagt, dass es
auch allerhöchste Zeit wurde, dass ihre Liliane endlich Anschluss gefunden hat,
denn das Mädchen wäre schon sehr verschroben gewesen, man hätte sich ernsthafte
Sorgen machen müssen. Stell dir vor, sagt die doch so was Despektierliches von
ihrer eigenen Tochter! Keine Loyalität,
Weitere Kostenlose Bücher