Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm
krachten.
»Au weia, er weiß
doch genau, dass er die nicht an den Tisch bringen darf!«, flüsterte Liliane
und gab Ivonne ihren Teller.
Huberts Augen verdüsterten
sich zusehends, je länger Martin an der Puppe nestelte und seinen Stiefvater
nicht beachtete, weil er so in den Anblick des ungewohnten Festmahles vertieft
war. Die kleinen, knubbeligen Fingerchen hasteten immer schneller an Barbie
hinauf und hinunter und seine strahlenden dunklen Knopfaugen sprühten Funken,
als ein Teller vor ihn hingestellt wurde. In dem Moment schnellte Huberts Hand
nach vorne und entriss dem Jungen die Puppe, packte sie an ihrem seidig
glänzenden Haar und schon zischte die blonde Schönheit mit strahlendem Lächeln
wenige Zentimeter über Ivonnes Kopf gegen die wuchtige Anrichte, wo sie mit
einem Knall aufschlug und im Fall irgendetwas scheppernd mit sich riss, von dem
Ivonne gar nicht wissen wollte, was es war, aber es schien etwas zu sein, an
dem Frau Piskunov hing, denn sie schnappte nach Luft und schlug eine Hand vor
den Mund.
Erschrocken hielt die
Familie wie auf einem lebenden Foto in ihren Bewegungen inne. »Kaiser, wie viel
Schritte darf ich gehen?«, dachte Ivonne und schielte bewegungslos an Hubert
Piskunovs Kopf vorbei. Würde er eine Zahl nennen und dann erwachten alle aus
ihrer Erstarrung?
»Wie oft habe ich
schon gesagt, dass ich kein Spielzeug bei Tisch will!« Hubert packte Martin am
Nacken und schüttelte ihn kräftig, und der kleine Junge schlingerte hin und her
wie eine willenlose Gliederpuppe, so dass Ivonne ausrief: »Eine Zahl, sagen Sie
lieber eine Zahl, das hier gilt nicht!« Niemand schien sie zu hören, und
Ivonnes Kopf schnellte zu Frau Piskunov, bestimmt würde sie gleich aufwachen
aus ihrer Erstarrung und etwas unternehmen, oder nicht? Aber sie hielt den Kopf
gesenkt und knispelte an einer Stoffserviette, ebenso wie Liliane, oh weh, und
der kleine Thommy war unter dem Tisch verschwunden!
Herr Piskunov ließ
Martin ebenso plötzlich wie er ihn hochgenommen hatte wieder los. Martin
plumpste mit einem dumpfen Geräusch auf seinen Stuhl und senkte sofort den Kopf
wie der Rest der Familie.
»Und
dann auch noch eine Puppe ! Eine Barbie-Puppe ! Du bist doch keiner
vom anderen Ufer, ein warmer Bruder, oder etwa doch?«, zischte Hubert und
Speicheltropfen spritzten auf Martins Wange, der seine zittrigen Händchen unter
dem Tisch festhielt, damit sie nicht ohne seinen Willen hervorschnellten und
das eklig Nasse abwischten!
»Wir sind noch nicht
fertig, mein Freund, aber da wir heute einen Gast haben, wollen wir es mal gut
sein lassen. Und nun benehmt euch alle mal wieder ordentlich, was soll denn
unser Gast denken! Nun, dann wollen wir mal essen!«, dröhnte Herr Piskunov mit
veränderter, munterer Stimme und stieß die Gabel in die Käsekruste seiner
Lasagne.
»Was ist ein warmer
Bruder?«, piepste Thommy in das allgemeine Aufatmen und Luftholen hinein. Frau
Piskunov machte eine Handbewegung, die verriet, dass sie ihrem Sohn am liebsten
die Serviette in den Mund gestopft hätte, aber Herr Piskunov blieb ruhig und
nutzte die Gelegenheit nur, um Thommy darauf hinzuweisen, dass man bei Tisch
keine schweinischen Ausdrücken benutzen dürfte, und wenn er alt genug sei,
würde ihm sein Lehrer schon erklären, was es alles für abartige Menschen gab.
Da Herr Piskunov der
Ansicht war, dass Getränke während einer Mahlzeit der Verdauung, der Erziehung
zu vollwertigen Menschen und überhaupt allem Denkbaren schaden würden, atmete Ivonne
erleichtert auf und leckte sich die ausgetrockneten Lippen, als das Mahl
beendet war. Ihr Durst war mörderisch, und sie bedauerte die Piskunov-Kinder
von Herzen, dass sie ohne Flüssigkeitsaufnahme aufwachsen mussten. Sie bedankte
sich artig, räumte eilig mit Liliane den Tisch ab und raste anschließend in
Lilianes Zimmer. Hastig zerrte sie die Cola aus Tereses Korb, hob die Flasche
an den Mund und trank gierig, dankte Terese zum ersten Mal seit langer Zeit mit
ehrlichem, reinem Herzen. Wie recht sie gehabt hatte! Wie dringend sie ihren
Korb in der Fremde brauchte!
Liliane kam hinter
Ivonne ins Zimmer und wollte sich ausschütten vor Lachen: »Ging mir am Anfang
auch so, als Hubbsi zu uns gezogen ist! Ich bin jedes Mal fast gestorben, bis
wir endlich aufstehen durften! Wahrscheinlich bin ich deshalb immer noch so
dünn. Dann nichts wie ab ins Bad und den Kopf unter den Wasserhahn – die Jungs
waren damals noch so klein, dass ich sie über den Beckenrand heben
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