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Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm

Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm

Titel: Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Fu
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aus der Tonkanne und goss den Tee in kleine japanische Schälchen,
die sie von ihrem Vater zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Sie betonte
mit einem scharfen Blick auf Ivonnes ausladende Bewegungen, dass sie die
Einzige wäre, die aus diesen Tassen mit ihr trinken dürfte, denn sie wären
ehrlich und in echt richtig kostbar. Und außerdem von ihrem Berliner Vater, der
gewiss wochenlang auf der Suche nach einem passenden Geschenk für seine
Lieblingstochter durch Westberlin gestreift war!
    Vorsichtig
und konzentriert nahm Ivonne die dünnwandige Schale zwischen zwei Finger und
traute sich kaum, den Tee durch Pusten in Wallung zu bringen und womöglich
dadurch Erosionen an der Porzellanwand auszulösen. Sie wartete geduldig, bis
der Tee sich von alleine abgekühlt hatte und hob die Tasse zaghaft an die
Lippen. Liliane registrierte zufrieden ihre Umsicht und machte ihr zur
Belohnung ein Kompliment über die glitzernden Spangen, die Ivonne heute in
ihrem kurzen Haar trug, ein Weihnachtsgeschenk von Frau Kraus-Hilskötter als
bescheidener Dank für das Hundesitting, das ihr das an sich schon, wie sie
betonte, so aufreibende Leben merklich erleichterte.
    »Bei
uns war Weihnachten die Pest, kannst du dir ja vorstellen!«  
    Liliane
trank ihren Tee aus, räkelte sich in ihrem Sessel und wand nervös - oder versonnen?
– einzelne Haarsträhnen um ihre Spinnenfinger.
    »Ich
habe dem Kleinen eine Ballrobe für seine Barbie geschenkt, total schön, ein
schwarzes Kleid mit Pailletten, Tüll und einem kleinen Handmuff, und was meinst
du, was das für ein Theater gegeben hat!«
    »Oh
je! Erzähl!«
    »Hubbsi
ist violett angelaufen, vom Hals bis zu den Haaren, sogar sein hässlicher
Schnurrbart hat lila geglänzt! Ganz doll lila! Ich denk mir für einen kurzen
Glücksmoment: Jetzt ist es endlich soweit – Herzinfarkt! Attacke! Weil er auch
nichts sagte, nicht mal schnaufte, sondern nur steif auf dem Sofa saß und mich
anstierte!«
    »Ohne
zu blinzeln?«
    »Ohne
zu blinzeln. ‚Schnell, ein Krankenwagen’, ruft Mutti, total nervös, aber
niemand rührt sich... naja, was soll ich sagen?«
    »Ja,
was?«  Ivonne beugte sich vor.
    »Ich
sag dir nur eins: Jetzt ist es genug! Er muss hier raus, er muss weg, er ist
eine Pestbeule, ein Späner und ein Drecksack! Alles drei! Egal in
welcher Reihenfolge.«  
    Liliane
sah Ivonne einen Moment aus zugekniffenen Augen schweigend an, schien zu
überlegen und abzuwägen, dann stellte sie vorsichtig ihre Teetasse beiseite und
rollte ihr Checkpoint-Charlie-Sweatshirt hoch. Ivonne japste und schlug die
Hände vor den Mund. Wie mit Wasserfarben nachlässig gepinselt, schillerten zwei
blaugrüne Seen auf Lilianes mageren Rippen.
    »Gott,
ist der ausgeflippt! Ich würde den Kleinen zu einer schwulen Sau machen und
solche Sachen... «  
    Liliane
brach ab und biss sich auf die Lippen. In namenlosen Entsetzen starrte Ivonne
auf die Flecken und sah Hubert Piskunovs erhobene Faust, seinen Blick, mit dem
er beim Lasagneessen den kleinen Martin durchbohrt, ihn regelrecht aufgespießt
hatte, und dann Liliane, geduckt hinter dem Sofa, fliehend, die Tür so nah und
doch, sie schaffte es nicht rechtzeitig und Hubert Piskunov packte sie am
Schopf, riss an den spärlichen, dünnen Haaren, dass der Kopf ruckartig nach
hinten flog!
    »Hast
du nicht erzählt, er hätte dich das letzte Mal gehauen, als du zehn warst und
seither nie wieder?«, flüsterte Ivonne, während sie unbeholfen zu Lilianes
Sessel stakste und ihr zögerlich einen Arm um die Schultern legte. Scheu
kuschelte sich Liliane in Ivonnes Armbeuge und Ivonnes Wangen röteten sich,
denn hatten sie nun, so grausam dies Geständnis war, nicht eine letzte hinderliche
Schranke überwunden, eine neue Dimension in ihrer Freundschaft entdeckt?
    »Ja,
das habe ich erzählt, aber damals kannte ich dich ja noch nicht so gut.«  
    Liliane
schniefte und wischte sich die Nase an ihrem Ärmel ab. Mutig streichelte Ivonne
Lilianes strähniges Haar. Sie war ihre Vertraute, sie musste ihr helfen, ihr
beistehen, was auch kam, fest beieinander wie Winnetou und Old Shatterhand, das
wurde ihr jetzt klar, vielleicht war sie, Ivonne, die Einzige, die helfen
konnte, denn sie war größer als Liliane, mittlerweile auch stärker und
schneller und überragte sie nicht sogar die Pestbeule, den widerlichen
Schläger? Sie musste einschreiten... oder nicht?
    »Warum
hast du den Sack nicht angezeigt?«
    »Mutti
hat mich angefleht, es nicht zu tun, er wäre schließlich der

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