Die Ewigen
Fahrt dauerte nicht lang: Nach kurzer Zeit bog Jackson von der befestigten Straße auf eine schmale, geschotterte Zufahrt ab, und hielt dann auf einem der weitläufigen Höfe am Rande der Apfelplantagen.
Ich sah mich um, während ich aus dem Auto kletterte, dem in der Luft hängenden, würzigen Räucherduft nachschnupperte und Ciaran zur Tür folgte – sehr viel konnte ich in der Dunkelheit allerdings nicht erkennen. Ich hatte den Hof schon bemerkt, da er quasi der nächste Nachbar der Burg war, aber natürlich nur von weitem, jetzt war ich von seiner Größe durchaus beeindruckt. Klar – in der Anlage der Burg oben wäre das hier ein schlichtes Nebengebäude gewesen, im Vergleich zu einem klassischen Einfamilienhaus mit handtuchgroßem Vorgarten in einem Neubaugebiet handelte es sich jedoch um ein beeindruckendes Anwesen der romantisch-rustikalen Art, mit einem wuchtigen Wohnhaus und zahlreichen Nutzgebäuden. Alles sah gepflegt aus, mit lediglich einem dezenten Hauch Verwitterung, der aber gerade seinen Charme ausmachte und den man wahrscheinlich lieber pflegte als wegrenovierte.
Die zweiflüglige Haustür wurde uns von einer Frau geöffnet, die auf den ersten Blick den gleichen Eindruck machte wie das Haus: Nicht mehr ganz jung, aber gut gepflegt. Ciaran schüttelte ihr die Hand, stellt mich vor und sagte, dass 'unser Fahrer' im Wagen warten würde, während er mich in die kühle, dämmerige Eingangshalle schob. Die Frau sah mit dunklen Augen zu mir auf und maß zweimal mit deutlicher Bewegung des Kopfes meine ganze Länge vom Scheitel bis zu den Füßen ab. Als hätte sie mich damit eingescannt, beachtete sie mich nicht weiter, bedachte Ciaran mit einem Blick, den ich mangels eines besseren Begriffes mal als skeptisch, vielleicht aber auch als ängstlich einordnete, dann marschierte sie die große Treppe am Ende der Halle hinauf, wobei sie ohne einen merklichen Atemzug in einem rasend schnellen Italienisch mit mir unbekanntem Zungenschlag redete.
Für meine kümmerlichen Kenntnisse in dieser schönen Sprache war das zu schnell, daher folgte ich den beiden schweigend und betrachtete dabei die sehr nach erfolgreichem Absolvieren des Volkshochschulkurses 'Kreative Malerei' aussehenden Aquarelle an den Wänden: Osterglocken auf dem ersten, Rosen auf dem zweiten Bild, dann einmal Gladiolen und einmal Weihnachtssterne - wahrscheinlich der Jahreszeiten-Zyklus der Dame oder Tochter des Hauses, mit mehr Engagement denn Können auf das stark wellenschlagende Papier gebannt.
Davides Mutter (soviel glaubte ich dann doch verstanden zu haben) führte uns zwei Stockwerke nach oben und öffnete eine Tür direkt am Treppenabsatz. Wir betraten ein Zimmer, das man nicht auf den ersten, wohl aber auf den zweiten Blick als das eines männlichen Teenagers einordnen konnte: Mochten die fast kahlen, nur verputzen Wände, die dunklen, alten Möbel und das große Bücherregal neben dem überquellenden Schreibtisch mich an Jacksons Zimmer in der Burg denken lassen, so sprachen die auf dem Boden herumliegenden Kleidungsstücke, die neben Dutzenden von CDs stehende Stereoanlage und die unter dem Bett hervorschauenden, verdreckten Turnschuhe doch eine ebenso deutliche Sprache wie der Stapel von Auto- und Kino-Magazinen neben dem Bett, in dem sich gerade der Besitzer dieses Zimmers ein wenig verlegen aufsetzte.
"Ciao, Davide", sagte Ciaran mit einem freundlichen Lächeln und einem kurzen Kopfnicken, während er auf dem Schreibtisch Platz für seine Tasche schaffte.
Die Mutter schoss aus den üppig mit Lippenstift bepinselten Lippen einen Satz Italienisch ab, diesmal auf den Jungen. Der zuckte nur mit den Schultern, und sie begann mit einem mürrischen Gesichtsausdruck, der ihr locker noch mal zehn Jahre addierte, die herumliegenden Klamotten einzusammeln.
"Lass uns Deutsch sprechen", bat Ciaran Davide und schüttelte dem Jungen die Hand, "dann kann Shara uns besser verstehen. Sie lernt bei uns Italienisch, aber bis zu medizinischen Fachbegriffen sind wir noch nicht vorgedrungen."
Davide lächelte mir zu, ein ausgesprochen hübsches Lächeln in einem ausgesprochen hübschen Gesicht: dunkle, halblange Haare bis tief in die Stirn, glatte und gebräunte Haut, hellbraune Augen über einer Stupsnase und ein Kinn mit kleinem Grübchen, dazu ein schlanker Körper mit langen Beinen – die Mädchen lagen ihm wahrscheinlich scharenweise zu Füßen.
"Hi, Davide", sagte ich.
"Mensch, bist du groß", antwortete er mir anstelle einer
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