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Die Fährte der Toten

Die Fährte der Toten

Titel: Die Fährte der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael White
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Knurren. Der eine der beiden wird nun kreidebleich im Gesicht, lässt die halbleere Flasche fallen, die auf dem dreckigen Asphalt zersplittert und stolpert langsam rückwärts, während sich der andere an die Wand drückt und irgendein unverständliches Zeug vor sich hin brabbelt.
    In ihrem Kopf beginnt wieder die ihr nun schon vertraut vorkommende sanfte Stimme in einem lockenden Tonfall zu ihr zu sprechen, und Lees Zunge fährt über ihre Lippen. Ihr Blick bannt den Penner, während sie mit immer schnelleren Schritten auf ihn zugeht. Der säuerliche Geruch, der von ihm ausgeht, wird jetzt überdeckt von etwas anderem – dem süßen Aroma seines Blutes. Sie kann es spüren – wie es durch seine Adern fließt, in einem immer schneller werdenden Rhythmus durch seinen Körper gepumpt wird.
     
    Sie hört jetzt ihre eigene Stimme, die 'Hallo' zu sagen scheint, aber es ist ein seltsam gedehnter Laut, eher wie ein Zischen, und das Gesicht des Mannes ist nun von Angst verzerrt...
     
    ...und plötzlich ist Lee wieder bei Sinnen. Sie muss kurz weg gewesen sein, anders kann sie sich nicht erklären, warum sie über dieses stinkenden Wrack gebeugt auf dem Boden herumkriecht, aus dessen zerfetzter Kehle ein dünner Blutfaden rinnt.
     
    Eine Stimme flüstert ihr ins Ohr, dass der Typ selber schuld ist – warum musste er auch so stinken? Hätte sich doch waschen können. War eh nur ein mieser dreckiger Penner, und die haben es halt nicht anders verdient. Pack wie der erfüllt nur eine Funktion – uns als Beute zu dienen.
     
    Dann erkennt sie, dass es Franks Stimme ist. Mit trockenen, würgenden Lauten wendet sie sich von ihm ab, während das schmuddelige Licht einer rostigen Straßenlaterne die Szenerie gnadenlos ausleuchtet und Franks hämisches Lachen in ihren Ohren klingt.
     
    'Jetzt fühlst du dich schlecht, nicht wahr? Weil du getötet hast. Weil es dich anekelt, so etwas wie das da...' er nickt kurz in Richtung des Toten '...angefallen zu haben, weil du den Hunger verspürt hast.'
     
    Frank nickt, mehr zu sich selbst als zu Lee.
     
    'Und du ekelst dich zurecht. Deshalb wirst du lernen, dich zu beherrschen.'
     
    'Scheiße...das kann doch nicht...ich meine...ich hab ihn umgebracht...das...das wollte ich -'
     
    'Genau, das wolltest du. Einen dreckigen stinkenden Penner aussaugen. Aber das geht schon in Ordnung. Du hast getan, was notwendig war. Du hattest Hunger, und je länger du wartest, umso ungeduldiger und rabiater wirst du. Ist ganz normal. Du fällst dann halt über alles her, was dir über den Weg läuft. Mit dem Ergebnis, dass du selbst so was frisst.'
     
    Lees Blick wandert zur Leiche des Mannes. Sie wartet darauf, dass die Reue in ihr hoch kriecht. Aber nichts geschieht.
     
    'Was ist mit dem anderen Kerl?'
     
    'Der? Oh, da mach dir mal keine Gedanken. Hab ich mich drum gekümmert.'
     
    Lee nickt in Richtung des Kadavers.
     
    'Was machen wir mit...mit dem da?'
     
    'Mit dem? Ganz einfach – das gleiche wie mit dem anderen, was sonst?'
     
    Ohne ein weiteres Wort schnappt sich Frank die Leiche, schleppt sie zu einem Müllcontainer hinüber und wirft sie hinein.
     
    'So, das wäre erledigt. Entweder die Ratten kümmern sich darum, oder sie landen in der Presse. In beiden Fällen ist das Problem gelöst. Das ist das Schöne am Müll – keiner vermisst ihn und jeder ist froh, wenn er ihn los ist.'
     
    Lee starrt Frank einfach nur fassungslos an.
     
    'Locker bleiben, Kätzchen. Wirst dich schon dran gewöhnen.'
     
    Frank wirft einen Blick auf die Uhr.
     
    'Für heute Abend reicht es dann auch. Ist schon spät. Verschwinden wir also von hier, bevor noch jemand auftaucht und dumme Frage stellt.'
     
    Mit diesen Worten dreht sich Frank um und geht zurück zum Wagen. Lee zögert kurz und geht ihm hinterher, nicht ohne einen Blick auf den Müllcontainer geworfen zu haben.
     
    Als sie die Hälfte des Weges geschafft hat, glaubt Lee, ein Flüstern zu hören. Sie zwingt sich langsam zu gehen, doch die letzten Meter beginnt sie zu laufen, als wenn etwas hinter ihr her wäre.
     
    ***
     
    Lee liegt auf ihrem Bett und starrt ins Nichts, während sie zusieht, wie sich der Zigarettenrauch langsam der Decke entgegenkräuselt.
     
    ‘Du hast dir deine Belohnung wahrlich verdient.'
     
    Franks Worte hallen in Lees Kopf wieder. Wie lange ist das jetzt her? Wochen? Monate? Sie weiß es nicht, aber es ist ihr auch egal. Du bist raus, denkt sie. Kannst gehen, wohin du willst. Hast deinen eigenen Unterschlupf, und

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