Die Fährte der Toten
Alptraum. Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit fühlt sich Lee vollkommen hilflos. Fast erwartet sie, dass ihr die Tränen in die Augen schießen, aber nichts geschieht. Stattdessen senkt sich wieder eine bleierne Müdigkeit über sie, während sich die Finsternis um sie herum zusammenzieht wie ein Vorhang, der die Welten der Lebenden und der Toten trennt.
***
Sie hat viel Zeit gebraucht, denkt Frank. So lange war sie in der Zwischenwelt, dass er schon befürchtet hatte, sie wäre davon gedriftet wie so viele vor ihr. Doch sie ist zurückgekehrt, und sie ist stärker als alle, die er vor ihr geschaffen hatte. Schon als er sie zum ersten Mal sah, war in ihm das Verlangen erwacht, sie zu verwandeln. In ein Wesen, das frei ist von den Zwängen der Menschen. Er hatte gespürt, dass dieses Menschenkind für ihn bestimmt war, auf eine schwer zu fassende Weise.
So wie es vorherbestimmt gewesen war, dass sich sein Weg mit dem Catherines gekreuzt hatte. Au ch wenn Catherine das im Nachhinein natürlich ganz anders sieht, denkt er. Frank stößt ein verächtliches Lachen aus und schüttelt unwillig den Kopf, aber die Erinnerung an die Nacht vor so langer Zeit, als er selbst in die Dunkelheit eintrat, kehrt mit Macht zurück.
***
Frank war im Fort gewesen, um seine Beute abzuliefern. Rothäute, feindliche Soldaten, Versprengte, Deserteure – er jagte alles, was zum Abschuss freigegeben war. Und er war gut darin. Er und sein Messer, sie waren wie alte Freunde.
Die letzten Wochen waren sehr einträglich gewesen, und er wollte sich ein wenig ausruhen und seine Beute einlösen. Stattdessen traf er sie. Er musste damals ausgesehen haben wie der letzte Strolch aus dem Busch, als er sie zum ersten Mal erblickte.
Sie erschien ihm wie eine Göttin, in ihrem blutroten Kleid und ihren langen, rabenschwarzen Haaren, wie sie da am roh zusammengezimmerten Tisch des Kommandeurs saß, die Blicke der Offiziere ignorierend und ihn mit ihren Augen bannend. Er war ihr verfallen, vom ersten Augenblick an. Und sie wusste es. Weil sie ihn erkannt hatte. Was immer sie auch in dieser Nacht dort wollte – er hatte es nie erfahren. Vielleicht war sie auf der Suche nach einem Gefährten. Vielleicht durchstreifte sie auch einfach die Nacht, einem Raubtier gleich, das auf Beutezug ist. Für ihn spielte das keine Rolle.
Erst hatte er gezögert, doch der Kommandeur hatte ihm zugenickt, und so hatte er seine Beute mit einem breiten Grinsen auf den Tisch geworfen. Die Frau schien nicht im Mindesten überrascht oder angeekelt zu sein, und der Handel war schnell von statten gegangen. Man hatte ihn ausgezahlt und anschließend ohne große Reden wieder hinauskomplimentiert. Bevor er zur Tür hinaustrat, hatte er sich noch einmal umgedreht. Und ihr Lächeln gesehen. Genau wie die Furcht in den Gesichtern der Offiziere, die um sie herum saßen.
***
Er hatte draußen in der Dunkelheit gewartet. Sie würde kommen, da war er sich absolut sicher. Was sie auch nach kurzer Zeit tat. Sie hatte so getan, als würde sie ihn nicht bemerken, und hatte das Fort verlassen. Niemand hatte sie aufgehalten. Er war ihr gefolgt, gegen jede Vernunft, es war Wahnsinn, mitten in der Nacht den Schutz des Forts zu verlassen. Aber er tat es dennoch und folgte ihr in die Wälder. Dort, in tiefster Finsternis, hatte sie auf ihn gewartet, ihre Augen leuchtend wie Rubine aus dem Herzen der Hölle.
‘Du bist ein Mörder. Und es macht dir Freude – das Morden. Habe ich nicht Recht?'
Das Feuer in ihren Augen hatte sich in seine Seele eingebrannt, und er hatte einfach nur genickt, was sie mit einem Lächeln quittiert hatte.
'Ja, das dachte ich mir. Du bist anders als all diese pathetischen Narren in ihrer lächerlichen kleinen Bastion. Die hier wie andernorts ihre albernen kleine Kriege führen und sich nicht eingestehen wollen, dass sie es nur tun, weil es ihnen Freude bereitet, andere zu töten. Sie zu quälen, sie zu verstümmeln, ihnen jedes erdenkliche Leid zuzufügen. Nicht wahr? Du bist auf der Suche nach etwas anderem. Nun, du hast Glück - deine Suche, sie hat heute Nacht ein Ende gefunden.'
Er hatte kein Wort herausgebracht, doch das Lächeln, das sie ihm schenkte, war Antwort genug auf die unausgesprochene Frage, die ihm auf den Lippen lag. Bis sich die ihren teilten und ihr Geheimnis preisgaben.
Seit jener Nacht durchstreiften sie gemeinsam die neue Welt, wie sie diesen Kontinent nannte, auf der Suche
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