Die Fährte der Toten
ihrer Linken. Mit einem Lachen legt sie den Kopf in den Nacken, während sie ihre Trophäe hochhält und das Blut über ihr Gesicht laufen lässt.
Die Stimme in ihrem Kopf ist verstummt, aber Lee weiß, dass sie zufrieden ist. Sie hat sich ihr hingegeben. Ihr die Macht über ihren Körper und ihren Geist gegeben. Und sie bereut es nicht. Das Gefühl, eins zu sein mit dieser anderen Seite, es war berauschend.
Dann lichtet sich der rote Schleier, und Lee ist wieder sie selbst. Kurz muss sie sich orientieren. Was ist eigentlich passiert? Sie sieht an ihrem mit Blut und Eingeweiden verschmierten Körper herunter. Der Kadaver des Hundes strömt einen eigenartigen Geruch aus, aber das Aroma des Blutes ist immer noch da, und sie muss sich zusammenreißen, nicht ihrem Verlangen nachzugeben. Sie betrachtet den Kopf in ihrer Linken. Ihre Finger stecken immer noch in den Augenhöhlen, und sie schwankt zwischen Ekel und dem Hochgefühl des Sieges.
Eine Bewegung, aus den Augenwinkeln wahrgenommen, reißt sie aus ihren Gedanken. Jemand ist hinter ihr, und es ist nicht Frank. Sondern…
Ein Kind? Was zur Hölle macht ein Kind hier allein im Wald, mitten in der Nacht? Lee macht einen Schritt auf das Kind zu, hält dann aber inne. Das Kind lächelt, aber Lee fröstelt es leicht, als sie in seine Augen blickt, die durch sie hindurchzusehen scheinen. Sie hat das Gefühl, dass sie das Mädchen schon einmal gesehen hat. Als wenn sie es kennen würde. Sie öffnet den Mund, um es anzusprechen, aber das Mädchen macht nur eine stumme Geste, dass sie ihr folgen soll und dreht sich dann wortlos um und läuft in den Wald hinein. Lee läuft ihm hinterher, und obwohl sie eigentlich schneller sein müsste, hat sie Mühe Schritt zu halten. Schon nach wenigen Sekunden ist es verschwunden, und jetzt nimmt Lee eine Veränderung ihrer Umgebung wahr. Die Dunkelheit des Waldes hat sich gewandelt. Sich zusammengezogen, verdichtet. Als wären die Schatten lebendig geworden.
Überrascht stellt sie fest, dass sie keine Furcht empfindet. Vielmehr hat sie das Gefühl, in ein ihr vertrautes Element eingetaucht zu sein. Sie schaut sich um und ist erstaunt über die Leichtigkeit, mit der sie sich orientieren kann. Ein Lächeln zeichnet sich auf ihren Lippen ab. Darüber hat Frank kein Wort verloren. Ein leises Flüstern ertönt in ihrem Kopf.
'Auf die dunkle Seite wechseln zu können ist Dein Geburtsrecht. Aber du musst lernen, es zu beherrschen. Sonst wirst du dich in den Schatten verlieren.'
Lee schaut in die Richtung, in die das Kind verschwunden ist und verspürt den Drang, ihm weiter zu folgen.
'Überschätze dich nicht', flüstert die Stimme.
Lee ringt ein wenig mit sich selbst, aber schließlich siegt die Vernunft über die Neugierde. Außerdem muss sie jetzt erst einmal den Kopf abliefern. Mit geschmeidigen Schritten gleitet sie durch die Dunkelheit in die Richtung, in der sie Frank vermutet.
***
Sie ist weg. Urplötzlich ist der Kontakt, den Frank die ganze Zeit über verspürt hat, abgerissen. Als hätte jemand die Leitung gekappt. Wieder einmal beschleicht ihn ein ungutes Gefühl. Ja, er hat sie ausgewählt, weil sie alles mitbringt. Aber das sie sich vor ihm verbergen kann, hier, in seinem Jagdterritorium? Das kann nicht sein!
Und doch ist es so. Auf seine Sinne kann er sich verlassen. Und er hat gelernt, die Dinge so zu sehen wie sie sind. Und nicht so, wie sie sein sollten.
Soll er sie suchen? Nein! Warum ihr zeigen, dass er den Trick genauso beherrscht wie sie? Auch wenn sie es sich sicherlich denken kann. Sie ist nicht dumm. Ganz und gar nicht.
Frank knetet seine Unterlippe. Sie wird gefährlich. Selbst für ihn. Sie ist wie ein wildes Tier, das dabei ist, seine Kette zu zerreißen. Aber hat er nicht genau das gewollt? Noch einmal schaut er sich um. Sie ist hier, irgendwo. Frank kann es spüren. Wo bist du, kleine Lee? Sag es mir. Doch die einzige Antwort, die er erhält, ist das ist das monotone Prasseln des Regens im Unterholz.
***
Die Zeit scheint dahinzutropfen, und langsam wird er ungeduldig. Er will hier nicht die ganze Nacht verbringen stehen. Frank überlegt noch, ob er sie suchen soll, als der Hundeschädel mit einem dumpfen Laut vor ihm auf dem feuchten Waldboden aufprallt.
Franks Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen, als Lee aus den Schatten tritt. Er mustert ihren Körper von oben bis unten. Wirklich verführerisch. Sie würde einen formidablen
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