Die Fährte der Toten
Hunger zu stillen. Lee zählt langsam bis zehn und gleitet dann aus ihrer Nische und geht mit langsamen Schritten ihrer Beute hinterher.
***
'Ich geh mal nachschauen, wo Harry bleibt.'
Josh sieht Clark von der Seite an, während er sich seine Jacke überzieht.
'Der ist wahrscheinlich besoffen auf der Schüssel eingepennt...'
'Brauchst ja nicht mitkommen...'
'Werd ich auch nicht... '
Josh zuckt mit den Schultern und wendet sich der Bedienung zu.
'Beth, ich hau ab.'
Er wirft ein paar Scheine auf den Tresen und steht auf.
'Hey, du kriegst noch was wieder - '
Beth will ihm noch sein Wechselgeld rausgeben, doch Josh ist schon unterwegs in Richtung Tür. Was ist denn mit dem los? So viel lässt dieser knickerige Sack doch nie liegen. Na ja, ihr solls recht sein. Beth rafft die halb ausgetrunkenen Flaschen von der Theke und haut auf den Lichtschalter für die Außenbeleuchtung. Für heute ist Feierabend. Wenn Clark den besoffenen Idioten endlich vom Klo geschleift hat, wird sie die beiden rausschmeißen.
Genau wie diese komische Tussi, die sich wahrscheinlich seit Stunden vor dem Spiegel schminkt. Sie schnappt sich den Schlüsselbund, um die Tür zuzusperren. Nicht dass jetzt noch einer reinkommt und ein Bier will. Aus den Augenwinkeln nimmt sie eine Bewegung wahr. Josh, denkt sie. Bestimmt hat der Geizhals gerade gemerkt, dass er was vergessen hat.
'Hast du was vergessen? Wenn Dus Wechselgeld suchst, ist leider von der Katze gefressen -'
'Josh sucht nichts mehr. Im Gegensatz zu mir.'
Beths Herz macht einen Sprung, als sie die Stimme hört. Langsam dreht sie sich um. Vor ihr steht eine wahre Schönheit, mit langen matt schimmernden schwarzen Haaren, gekleidet in einem eleganten Abendkleid.
'Wen – ich meine, was suchen Sie - '
'Meine Schwester. Du hast sie gesehen, nicht wahr? Sie ist hier. Ich kann es spüren.'
Beths Augen bleiben an den blutverschmierten Händen der Frau hängen, und sie spürt, wie die Angst in ihr hoch kriecht. Sie will etwas sagen, aber sie bekommt nur ein Krächzen heraus.
Der Blick der Frau wandert durch die Bar, bevor sie sich wieder Beth zuwendet, die nur stumm den Kopf schüttelt, während ihre Gedanken rasen, wo ist die Waffe, wo ist nur die Waffe -
'Eine Waffe wird dir nichts nutzen', sagt die Frau. 'Komm her.'
Die Stimme der Frau ist betörend, und Beth hat das Gefühl, sich selbst zu sehen, wie sie um die Theke herum auf die Frau zugeht. Ja. Kommen. Zu ihr. Ihrem Engel, der sie beschützen wird. Wie in Zeitlupe geht Beth der Frau entgegen, die ihr eine Hand entgegenstreckt.
‘Du brauchst keine Angst zu haben', sagt die Frau.
Noch einmal spürt Beth, wie ihr Instinkt sie mit aller Macht zur Flucht antreiben will. Fast kann sie sich von dem Blick losreißen, doch dann berühren ihre Fingerspitzen die Hand des Engels. Ein gleißendes Licht beginnt sie zu umhüllen wie ein wärmender Mantel, und Beth weiß, dass nun alles gut wird.
***
Lee spült das Blut von ihrer Klinge und betrachtet dabei ihr Gesicht im Spiegel. Eine Fremde schaut ihr entgegen, und sie zuckt zusammen. Wie konnte die Sache so aus dem Ruder laufen? Was ist bloß los mit ihr?
Sie war gerade dabei gewesen, die Leiche in einer der Kabinen zu entsorgen, als einer der anderen Typen reinkam und sie anglotzte, als wäre sie eine Außerirdische. Sie hatte automatisch reagiert, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Der überraschte Gesichtsausdruck des Mannes, als sie ihm das Messer ins Herz gerammt hatte, erscheint wieder und wieder vor ihrem geistigen Auge.
Unter der Tür der Toilettenkabine hat sich ein immer größer werdender Blutfleck gebildet, um den bereits ein paar Fliegen kreisen. Was jetzt, denkt sie. Rausgehen und irgendeinen Mist erzählen? Oder am besten gar nichts sagen und einfach abhauen?
Sie schaut wieder in den Spiegel und glaubt Franks Visage zu sehen, die ihr entgegen grinst. Du hast es gewusst, nicht wahr? Hast dir gedacht, dass ich es eh nicht schaffe, mich allein durchzuschlagen und dann zu dir zurückkehre, um dich um deine Hilfe anzubetteln. Dass ich alles machen werde was du willst, nur damit du mich weiter unterweist, mich wieder als deine Schülerin annimmst. Sie knirscht mit den Zähnen. Niemals. Eher wird sie die Sonne begrüßen als wie ein Hund vor diesem Schwein zu kriechen.
Nein, wenn sie ihn wiedersieht, wird sie ihm die Rechnung präsentieren. Doch dazu muss
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