Die Fährte der Toten
Wald über. Sie versucht die Schiebetüren zu öffnen, aber die Griffe bewegen sich keinen Millimeter.
Wäre ja auch zu schön gewesen. Du bist eine Gefangene, denkt sie. Auf der anderen Seite - immerhin hat diese Lee dich nicht einfach entsorgt. Irgendwas hat sie wohl noch mit dir vor. Frustriert sieht sie sich um und stellt dabei fest, dass sich zum Ticken der Uhr nun auch noch das Knurren ihres Magens gesellt.
Tanya geht durch eine Tür aus mattem Glas weiter in das Haus hinein in einen großen Flur. Genauso leer wie das Wohnzimmer. Lebt hier überhaupt jemand? Sie macht ein paar Schritte in den Flur hinein und sieht, dass sich auf der rechten Seite offensichtlich die Küche befindet. Kurz hat sie das Gefühl, unhöflich zu sein – einfach hier so durchs Haus zu streunen und sich selbst zu bedienen, doch sie verwirft den Gedanken schnell wieder. Sie hat ja nicht drum gebeten, hier festgesetzt zu werden.
Die Küche sieht aus wie ein Ausstellungsraum in einem Möbelhaus. Alles minimalistisch eingerichtet - ein Tisch mit zwei Stühlen, eine sündhaft teure Einbauküche – aber nichts sieht so aus, als wenn es jemals benutzt worden wäre. Seltsam. Das immer stärker in ihrem Magen rumorende Hungergefühl erinnert sie daran, warum sie eigentlich hier ist. Sie geht schnurstracks zum Kühlschrank und öffnet ihn. Fast hatte sie erwartet, dass er leer ist, doch zu ihrer Erleichterung lachen sie ein Sechserpack Bier und Soda und ein paar eingeschweißte Fertiggerichte an. Lebt wohl doch jemand hier und füllt ab und zu den Kühlschrank.
Und vergisst dabei seinen Revolver im Kühlschrank.
Tanya traut ihren Augen nicht. Eine Kanone! Im Kühlschrank! Hat sie jetzt Halluzinationen? Dann kehrt die Erinnerung an letzte Nacht zurück. Mit einer langsamen Bewegung nimmt sie Waffe in ihre Rechte und betrachtet sie immer noch ungläubig, als sie ein Geräusch hinter sich hört.
'Guten Morgen. Oder besser guten Abend. Wie ich sehe, hast du Hunger. Hab ich mir gedacht. Konnte auf die Schnelle nichts anderes finden als - '
Weiter kommt Lee nicht, denn Tanya dreht sich zu ihr um und richtet die Waffe auf sie. Lee, nur in einen feuerroten Kimono aus reiner Seide gehüllt, unter dem sie ganz offensichtlich nichts anhat, zieht eine Augenbraue hoch.
'Ach ja...da hatte ich gar nicht dran gedacht. Na, nun sei mal vorsichtig mit dem Ding, sonst verletzt du noch jemanden, und das wäre doch -'
Tanya muss sich zusammenreißen, um sich nicht ablenken zu lassen. Was für ein Anblick! Leider haben wir jetzt aber was anderes zu tun.
'Ok, jetzt ist Schluss mit Lustig. Ich finds ja nett, dass du mich nicht umgelegt hast, aber nun muss ich leider gehen. Also sag mir, wo deine Schleuder steht, rück die Wagenschlüssel raus, und dann werden sich unsere Wege trennen. Und wir werden nie wieder was voneinander hören. Einverstanden?'
Lee verdreht leicht die Augen und macht einen Schritt auf Tanya zu, während sie mehr zu sich selbst als zu Tanya zu sprechen scheint.
'Schön...ganz ruhig bleiben. Nicht durchdrehen. Du bist hier zu Hause...also benimm dich...keine Sauereien hier...'
Tanya umfasst jetzt mit beiden Händen den schweren Revolver und zielt direkt auf Lees Oberkörper.
'Bleib stehen! Ich mein es ernst! Ich drück ab, ich - '
Lee macht einen weiteren Schritt, und bevor Tanya sich versieht, hat sie ihr die Waffe mit einer fast spielerisch anmutenden Bewegung abgenommen, so schnell, dass Tanya das Gefühl hat, gar nicht mitzubekommen was jetzt gerade eigentlich passiert – bis Lee die Waffe nun auf sie richtet! Auf einmal verspürt Tanya nackte, blanke Angst. Dämliche Idiotin, denkt sie. Das hast du nun davon. Sie wird kreidebleich und hebt beschwichtigend die Hände.
'He, hör auf, ich meine, das war nur Spaß, ok? Du weißt schon, hey, du musst das verstehen, das ist alles ein wenig seltsam, ich hatte nur Hunger und da - '
Lee schaut Tanya mit einem ausdruckslosen Gesicht an, die Waffe immer noch auf Tanya gerichtet. Langsam spannt sie den Hahn - und drückt ab. Das hohle metallische Klicken des Hammers hallt in Tanyas Kopf wieder, während ihr Herz einen Moment stehen bleibt, fast als würde es den Einschlag der Kugel erwarten und in vorauseilendem Gehorsam seinen Dienst einstellen.
Doch kein Schuss ertönt, und keine Kugel trifft auf ihren Körper. Tanyas Knie beginnen zu zittern, und sie fühlt, wie sie kreidebleich wird. Erst ist sie erleichtert, aber
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