Die Fährte der Toten
dieses Gefühl weicht schnell der Wut. Die Kanone war gar nicht geladen. Diese Schlampe! Scham und Wut mischen sich und machen sich in ihrem Innern breit. Fast hätte sie sich in die Hose gemacht hat. Für einen Moment möchte sie Lee die Faust ins Gesicht rammen, aber irgendetwas in ihr sagt ihr, dass das eine ganz schlechte Idee wäre. Sie reißt sich zusammen, doch der Zorn funkelt unübersehbar in ihren Augen.
Lee sieht Tanya gelassen an, und Tanya glaubt den Hauch von einem Lächeln in Lees Gesicht zu sehen.
'Regel Nummer eins bei einem Revolver - die erste Kammer bleibt leer. Merk dir das, Süße. Genau wie Regel Nummer zwei - wenn du eine Waffe auf jemanden richtest, sei dir sicher, dass du bereit bist abzudrücken. Und wenn du dazu bereit bist, dann sei auch bereit, diesen Jemand zu töten. Das ist Regel Nummer drei.
Glaub mir, die, die sich meine Feinde nennen und die auch deine Feinde sein werden, kennen diese Regeln. Und sie leben nach ihnen. Diesmal belasse ich es bei einer Ermahnung. Machst du diesen Fehler noch einmal, wird das Echo weitaus schmerzhaftere Ergebnisse nach sich ziehen als ein wenig verletzter Stolz.'
Tanya muss schlucken. Klar hat Lee Feinde – spätestens seit letzter Nacht. Zu blöd, dass diese Typen jetzt auch ihre Feinde sein sollen. Sie hat doch keinem was getan. Aber wie heißt es doch so schön? Mitgefangen, mitgehangen.
'Ok...was immer du sagst. Du bist die Chefin, alles klar!'
'Bin ich, ja? Schön, dann stell ich dir jetzt mal eine einfache Frage.'
Mit einer lässigen Bewegung spannt Lee erneut den Hahn der Waffe und richtet den Lauf auf Tanyas Kopf.
'Also - was würdest du tun, um Dein mieses kleines Leben zu retten? Hm? Sag es mir!'
Tanya spürt, wie sich ein Eisklumpen in ihrem Magen bildet. Lee meint es ernst. Sie wird sie hier und jetzt umlegen, wenn sie die falsche Antwort gibt. Und welche die Richtige ist – da ist sich Tanya nicht so sicher. Ihre Zunge klebt am Gaumen fest, und zunächst kommt nur ein Krächzen, als sie antworten will. Sie räuspert sich einmal und sieht Lee in die Augen.
'Alles. Ich würde alles tun.'
Die Worte hängen bleischwer in der Luft, und Tanya weiß, dass sie es versaut hat. Lees Daumen wandert zum Hammer – und lässt ihn mit einer unendlich langsamen Bewegung zurückgleiten.
'Richtige Antwort. Die Kandidatin hat hundert Punkte.'
Lee lässt die Hand mit der Waffe sinken und legt ihre Linke mit einer spielerischen Bewegung in Tanyas Nacken, und kurz denkt Tanya, dass sie ihr das Genick brechen will, doch Lee zieht sie sanft zu sich heran und drückt ihr einen kurzen, zärtlichen Kuss auf die Lippen. Tanya sieht Lee nur völlig verwirrt an, während Lee die Waffe lächelnd auf den Küchentisch wirft, wo sie polternd liegenbleibt.
'Nachdem wir das also geklärt hätten – können wir ja weitermachen, nicht wahr? Ich nehme an, du willst dich ein wenig frischmachen. Ich habe dir ein Zimmer eingerichtet. Da ist auch ein Badezimmer. Also tu dir keinen Zwang an, Süße.'
Tanya nickt. Was auch immer. Erst will sie dich umlegen, dann knutscht sie dich ab. Immerhin, die Reihenfolge ist ok. Besser so als umgekehrt.
'Klar...gute Idee. Sollte ich echt mal machen. Leider sind meine Sachen noch in meiner Bude. Und meinen Rucksack hab ich mitgenommen...ist wohl weg jetzt... War alles drin, was ich noch hatte.'
Um die Klamotten ist es nicht schade, denkt sie. Aber die wenigen wichtigen Habseligkeiten, die sie noch hatte, waren da drin. Nicht einmal das ist ihr geblieben.
'Dein Rucksack ist in deinem Zimmer. Ich hab ihn mitgenommen. Alles da. Und nein, ich habe nichts angerührt oder sonst etwas damit gemacht. Was deine Rechnungen angeht – die habe ich bezahlt. Du musst dir wegen nichts mehr Sorgen machen. Es wird keine Fragen mehr geben. Ganz bestimmt nicht.'
Tanya nickt.
'Das glaub ich dir aufs Wort.'
Sie schlingt ihre Arme um ihre Schultern.
'Kannst du mir dann mein...Zimmer...zeigen? Ich...würd mich jetzt wirklich gerne umziehen und so...'
Sie versucht ein Lächeln hinzubekommen, aber es wird nur eine klägliche Grimasse.
'Natürlich. Komm mit.'
Lee führt Tanya eine Treppe hinauf in den ersten Stock zu einem Zimmer, das offenbar als Gästezimmer dient und nicht so aussieht, als würde es derzeit bewohnt. Oder als wäre es überhaupt jemals auch nur benutzt worden.
'Die Tür dort führt ins Bad. Ich hab dir deine Sachen aufs
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